Anna Karenina
manchen Stellen dichter, an anderen
spärlicher aus ihm erhoben, so daß die Riedgrasdickichte und die Weidenbüsche wie kleine Inseln über diesem Dunste
hin und her schwankten. Am Rande des Sumpfes und des Weges lagen Bauern und Bauernjungen, die dort Nachtwache
gehalten hatten, und schliefen jetzt gegen Morgen alle, mit ihren Röcken zugedeckt. Nicht weit von ihnen gingen
drei gefesselte Pferde umher; das eine klirrte mit seinen Fußfesseln. Laska ging neben ihrem Herrn, strebte aber
immer voran und sah sich häufig nach ihm um. Als Ljewin an den schlafenden Bauern vorbeigekommen war und die erste
sumpfige Stelle erreicht hatte, untersuchte er die Zündstifte und ließ den Hund los. Eines der Pferde, ein
wohlgenährter, dreijähriger Brauner, nahm beim Anblick des Hundes Reißaus, hob den Schwanz in die Höhe und
schnaubte. Auch die andern Pferde erschraken, schlurften mit den gefesselten Beinen durch das Wasser, wobei sie
einen dem Händeklatschen ähnlichen Laut hervorbrachten, wenn sie die Hufe aus dem dicken Schlamm herauszogen, und
stiegen aus dem Sumpfe heraus. Laska blieb stehen und warf den Pferden einen spöttischen, ihrem Herrn einen
fragenden Blick zu. Ljewin streichelte das Tier und pfiff ein paar Töne, zum Zeichen, daß die Sache nun anfangen
könne.
Fröhlich, aber auch mit vorsichtiger Besorgnis, lief Laska über die Moordecke hin, die sich unter ihr bog.
Als Laska in den Sumpf hineingelaufen war, nahm sie sofort unter den ihr wohlbekannten Gerüchen des Wurzelwerks,
der Sumpfpflanzen, des Morastes und dem ihr in dieser Umgebung fremden Gerüche des Pferdemistes den über dieses
ganze Gebiet verbreiteten Geruch eines Vogels wahr, und zwar eben jenes stark riechenden Vogels, der sie mehr als
alle anderen Vögel in Aufregung zu versetzen pflegte. Hier und da im Moose und im Sumpfklee war dieser Geruch sehr
stark; aber es ließ sich nicht erkennen, nach welcher Seite hin er stärker oder schwächer wurde. Um die Richtung zu
finden, hielt Laska für nötig, weiter weg unter den Wind zu gehen. Ohne sich der Bewegung ihrer Beine bewußt zu
sein, jagte sie in scharfem Galopp, aber doch so, daß sie bei jedem Sprung nötigenfalls stehenbleiben konnte, nach
rechts, den von Osten wehenden leisen Morgenwind im Rücken, und wandte sich dann gegen den Wind. Sobald sie nun,
die Nasenlöcher erweiternd, die Luft einzog, merkte sie sofort, daß nicht nur die Spur der Vögel, sondern die Vögel
selbst da waren, vor ihr, nicht etwa nur einer, sondern viele. Laska verringerte die Schnelligkeit ihres Laufes.
Sie waren da, aber an welcher Stelle genauer, das konnte sie noch nicht bestimmen. Um die Stelle selbst zu finden,
begann sie schon einen Kreis zu beschreiben, als plötzlich die Stimme ihres Herrn sie davon zurückhielt. »Laska!
Da!« rief er ihr zu und zeigte nach einer andern Seite. Sie blieb einen Augenblick stehen und schien ihn zu fragen,
ob es nicht doch besser sei, so fortzufahren, wie sie angefangen hatte. Aber er wiederholte den Befehl in
ärgerlichem Tone und deutete auf eine von kleinen Erdhöckern durchsetzte Lache, wo doch nichts sein konnte. Laska
gehorchte, stellte sich, um ihm den Gefallen zu tun, als suche sie, und durchstöberte die Erdhöcker, dann kehrte
sie zu ihrer früheren Stelle zurück und witterte sofort wieder die Vögel. Jetzt, wo er ihr nicht mehr in die Quere
kam, wußte sie, was sie zu tun habe, und indem sie nicht unter ihre Füße sah und deshalb oft über hohe Höcker
stolperte und ins Wasser fiel, stets aber mit ihren geschmeidigen starken Beinen bald wieder zurechtkam, begann sie
einen Kreis zu beschreiben, der ihr die ganze Sachlage zur Klarheit bringen mußte. Der Geruch der Vögel traf immer
stärker und stärker, immer deutlicher und deutlicher ihre Nase, und auf einmal wurde es ihr völlig klar, daß einer
dieser Vögel sich hier, hinter diesem Höcker, fünf Schritt vor ihr, befand; sie blieb stehen, und ihr ganzer Körper
verharrte regungslos. Auf ihren niedrigen Beinen vermochte sie nichts vor sich zu sehen, aber sie wußte durch den
Geruch, daß der Vogel nicht weiter als fünf Schritte von ihr entfernt saß. Sie stand und stand, spürte den Vogel
mehr und mehr und genoß den Zustand der Erwartung. Die steife Rute war lang ausgestreckt und zitterte nur mit dem
äußersten Ende. Das Maul hielt sie ein wenig geöffnet, die Ohren aufgerichtet. Das eine Ohr hatte sich beim Laufen
umgeklappt, und sie atmete keuchend, aber vorsichtig
Weitere Kostenlose Bücher