Anna Karenina
hatte: »Sei nicht lüstern nach fremden Weibern, sondern sorge vor allen Dingen dafür, daß du eine eigene
Frau bekommst.« Diese Worte gaben ihm ganz besonders Anlaß zum Lachen.
»Überhaupt bin ich von unserem Ausflug außerordentlich befriedigt. Wie ist's mit Ihnen, Ljewin?«
»Ich bin gleichfalls sehr befriedigt«, antwortete Ljewin durchaus aufrichtig. Er freute sich ganz besonders
darüber, daß nicht nur jene Feindseligkeit geschwunden war, die er zu Hause gegen Wasenka Weslowski empfunden
hatte, sondern er jetzt sogar eine sehr freundschaftliche Zuneigung für ihn hegte.
14
Am andern Tage um zehn Uhr klopfte Ljewin, der schon einen Rundgang durch seine Wirtschaft gemacht hatte, an dem
Zimmer an, in dem Wasenka wohnte.
»Entrez!« 1 rief dieser. »Entschuldigen Sie, ich
habe mich soeben erst gewaschen«, sagte er lächelnd, weil er im bloßen Unterzeug vor Ljewin stand.
»Bitte, lassen Sie sich nicht stören.« Ljewin setzte sich ans Fenster. »Haben Sie gut geschlafen?«
»Wie ein Toter. Aber welch prächtiger Tag wäre das heute zur Jagd!«
»Was trinken Sie: Tee oder Kaffee?«
»Keins von beiden. Ich frühstücke lieber gleich etwas Festes; ich muß mich wahrhaftig schämen. Die Damen sind
wohl schon aufgestanden? Es wäre sehr nett, jetzt ein bißchen umherzugehen. Zeigen Sie mir doch Ihre Pferde.«
Nachdem sie einen kleinen Spaziergang durch den Garten gemacht, den Pferdestall besucht und sogar ein bißchen am
Barren geturnt hatten, kehrte Ljewin mit seinem Gast in das Haus zurück und ging mit ihm ins Wohnzimmer.
»Wir haben eine wundervolle Jagd gehabt und soviel Neues kennengelernt!« sagte Weslowski, zu Kitty herantretend,
die neben der Teemaschine saß. »Wie schade, daß den Damen diese Genüsse versagt bleiben.«
›Na, was ist dabei? Er muß doch mit der Hausfrau ein paar Worte sprechen‹, sagte Ljewin zu sich selbst. Er
fühlte sich wieder unangenehm berührt durch Weslowskis Lächeln und durch die Siegermiene, mit der er sich zu Kitty
gewandt hatte ...
Die Fürstin, die mit Jelisaweta Petrowna und Stepan Arkadjewitsch an der andern Seite des Tisches saß, rief
Ljewin zu sich und begann mit ihm ein Gespräch darüber, daß Kittys bevorstehende Entbindung eine Übersiedelung nach
Moskau notwendig mache und dort eine Wohnung instand gesetzt werden müsse. Wie schon bei der Hochzeit Ljewin von
den vielerlei Zurüstungen wenig erbaut gewesen war, weil sie durch ihre Nichtigkeit nach seinem Gefühl nur die
hehre Erhabenheit des eigentlichen Begebnisses beeinträchtigten, so erschienen ihm auch, und sogar in noch höherem
Grade, die Vorbereitungen zu der bevorstehenden Entbindung widerwärtig, für deren Eintreten die Tage ordentlich an
den Fingern abgezählt wurden. Er gab sich stets Mühe, auf diese Gespräche über die Methode, nach der das zu
erwartende Kindchen gewickelt werden sollte, nicht hinzuhören; er vermied nach Möglichkeit, indem er sich
abwendete, den Anblick gewisser geheimnisvoller, endloser gestrickter Bänder und gewisser dreieckiger
Leinwandstücke, denen Dolly eine besondere Wichtigkeit beilegte, und so weiter. Die Geburt eines Kindes (er war
überzeugt, daß es ein Sohn sein werde), die ihm in Aussicht gestellt wurde, an die er aber trotzdem nicht glauben
konnte, weil es ihm gar zu seltsam vorkam, stellte sich ihm einerseits als ein so gewaltiges und daher
unglaubliches Glück und anderseits als ein so geheimnisvoller Vorgang dar, daß diese angebliche Kenntnis dessen,
was da kommen werde, und im Zusammenhang damit die Vorbereitung wie auf etwas Gewöhnliches, auf irgendwelches
Menschenwerk, ihm empörend und unwürdig erschienen.
Aber die Fürstin hatte kein Verständnis für seine Empfindungen und erklärte sich seine Unlust, über diesen
Gegenstand nachzudenken und zu reden, aus seiner Leichtfertigkeit und Gleichgültigkeit und gönnte ihm deshalb keine
Ruhe. Sie hatte Stepan Arkadjewitsch damit beauftragt, sich nach einer Wohnung umzusehen, und rief jetzt Ljewin zu
sich heran.
»Ich verstehe davon nichts, Fürstin. Verfahren Sie, wie Sie es für gut halten«, sagte er.
»Ihr müßt euch doch schlüssig werden, wann ihr umziehen wollt.«
»Ich verstehe wirklich nichts davon. Ich weiß nur, daß Millionen von Kindern außerhalb Moskaus und ohne Arzt
geboren werden ... Und warum auch nicht?«
»Ja, wenn du so denkst ...«
»Aber nein doch. Ganz wie Kitty will.«
»Mit Kitty kann man darüber nicht reden! Oder willst du etwa,
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