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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hatten
    diese beiden Zuhörer, beides verständige, aufrichtige Männer, einstimmig erklärt, er beruhige sich mit
    Trugschlüssen. Das machte ihn stutzig.
    »Ja, so ist das, mein Freund. Für eines von zwei Dingen muß man sich entscheiden: entweder muß man die
    bestehende Gesellschaftsordnung für gerecht erklären, und dann muß man seine Rechte verteidigen; oder aber man muß,
    wie auch ich es tue, zugeben, daß einem eine ungerechte Bevorzugung zuteil wird, und sich diese Bevorzugung mit
    Vergnügen gefallen lassen.«
    »Nein, wenn dabei eine Ungerechtigkeit vorläge, dann könntest du dich dieser Vorteile nicht mit Vergnügen
    bedienen, wenigstens ich könnte es nicht. Ich habe vor allen Dingen das Bewußtsein nötig, daß ich keine Schuld
    trage.«
    »Nun, wie ist's? Wollen wir nicht auch noch ein bißchen weggehen?« fragte Stepan Arkadjewitsch, der sich
    offenbar von dieser Anstrengung seiner Denkkraft ermüdet fühlte. »Schlafen können wir ja doch noch nicht. Im Ernst,
    komm mit!«
    Ljewin antwortete nicht. Es beschäftigte ihn noch immer die Äußerung, die er im Gespräche getan hatte, er handle
    nur in negativem Sinne gerecht. ›Ist es wirklich nur negativ möglich, gerecht zu sein?‹ fragte er sich selbst.
    »Aber wie stark doch das frische Heu duftet!« sagte Stepan Arkadjewitsch und richtete sich auf. »Es ist mir
    schlechterdings nicht möglich zu schlafen. Wasenka hat da angebändelt. Hörst du das Gekicher der Mädchen und seine
    Stimme? Wollen wir nicht auch hingehen? Komm doch!«
    »Nein, ich gehe nicht hin«, erwiderte Ljewin.
    »Handelst du darin nun auch wieder nach einem bestimmten Grundsatz?« fragte Stepan Arkadjewitsch, indem er in
    der Dunkelheit nach seiner Kopfbedeckung suchte.
    »Nach einem bestimmten Grundsatz zwar nicht; aber weshalb sollte ich da hingehen?«
    »Weißt du, du reitest dich selbst ins Unglück«, sagte Stepan Arkadjewitsch, der nun seinen Hut gefunden hatte
    und aufstand.
    »Wieso?«
    »Ich sehe ja doch, wie du dich mit deiner Frau gestellt hast. Ich habe gehört, daß ihr wie über eine Frage von
    höchster Wichtigkeit darüber verhandeltet, ob du für zwei Tage auf die Jagd fahren solltest oder nicht. Das ist ja
    wunderhübsch als idyllische Entwicklungsstufe; aber für das ganze Leben kommt man damit nicht aus. Der Mann muß
    sich unabhängig halten; er hat seine eigenen Mannesangelegenheiten. Der Mann muß mannhaft sein«, sagte Oblonski und
    öffnete das Tor.
    »Das heißt also wohl, er muß hingehen und mit den Gutsmägden schäkern?« fragte Ljewin.
    »Warum denn nicht, wenn es vergnüglich ist? Ça ne tire pas à conséquence. 4 Meiner Frau geschieht dadurch kein Schade, und mir macht es Vergnügen. Die
    Hauptsache ist, daß man die Heiligkeit des eigenen Hauses wahrt. Im Hause darf nichts vorfallen. Aber die Hände muß
    man sich nicht binden.«
    »Mag sein, daß du recht hast«, versetzte Ljewin in trockenem Tone und legte sich auf die Seite. »Morgen heißt es
    früh aufbrechen; ich wecke niemanden und gehe, sobald es hell wird.«
    »Messieurs, venez vite!« 5 hörten sie Weslowski
    sagen, der zurückgekehrt war. »Charmante! Ich habe da eine Entdeckung gemacht. Charmante, ein richtiges Gretchen,
    und ich habe schon mit ihr Bekanntschaft angeknüpft. Wirklich, ganz wunderhübsch!« berichtete er in so befriedigtem
    Tone, als wäre sie ausdrücklich für ihn so geschaffen worden, und als wäre er sehr zufrieden mit dem, der dieses
    Vergnügen für ihn bereitgestellt habe.
    Ljewin stellte sich schlafend, Oblonski aber zog seine Pantoffeln an, zündete sich eine Zigarre an und verließ
    die Scheune; bald verklangen ihre Stimmen.
    Ljewin konnte lange nicht einschlafen. Er hörte, wie seine Pferde das Heu kauten, dann, wie der Hauswirt mit
    seinem ältesten Knaben sich zurechtmachte und auf die Weide zur Nachtwache fuhr; dann hörte er, wie der Soldat am
    anderen Ende der Scheune sich mit seinem Neffen, dem kleinen Sohne des Wirtes, schlafen legte; er hörte, wie der
    Knabe mit seinem hohen Stimmchen dem Onkel seine Empfindungen über die Hunde mitteilte, die dem Kleinen furchtbar
    und riesig erschienen waren; dann, wie der Knabe sich erkundigte, was für Wild diese Hunde fangen sollten, und wie
    der Soldat mit heiserer, schläfriger Stimme ihm sagte, morgen würden die Jäger in den Sumpf gehen und mit Flinten
    schießen, und wie er dann, um vor den Fragen des Knaben Ruhe zu bekommen, zu ihm sagte: »Aber nun schlaf, Wasili,
    oder es gibt was«, und sehr

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