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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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bald selbst zu schnarchen anfing und alles still wurde; nur das Schnaufen der Pferde
    war zu hören und das Krächzen der Bekassinen. ›Wirklich nur negativ?‹ fragte er sich noch einmal. ›Nun, und was
    wäre dabei? Ich bin nicht schuld.‹ Und nun dachte er nur noch an den morgigen Tag.
    ›Morgen breche ich recht früh auf und nehme mir fest vor, nicht hitzig zu werden. Bekassinen sind eine Unmenge
    da. Auch Schnepfen sind vorhanden. Und wenn ich wieder hierher zurückkomme, dann finde ich Nachricht von Kitty vor.
    Ja, hat Stiwa am Ende wirklich recht? Ich trete ihr gegenüber nicht als Mann auf; ich bin weibisch geworden ...
    Aber was ist zu tun? Das ist auch wieder etwas Negatives!‹
    Im Halbschlaf hörte er das Gelächter und muntere Geplauder Weslowskis und Stepan Arkadjewitschs. Für einen
    Augenblick öffnete er die Augen: der Mond war aufgegangen, und im offenen Tore standen die beiden, vom Mondlicht
    hell beschienen, und schwatzten miteinander. Stepan Arkadjewitsch sprach, wie es Ljewin vorkam, von der Frische
    eines Mädchens, das er mit einer frischen, eben erst aus der Schale herausgeholten Nuß verglich, und Weslowski
    lachte in seiner herzlichen Weise und wiederholte eine Bemerkung, die wohl einer der Bauern ihm gegenüber gemacht
    hatte: »Schaff du dir nur eine eigene Frau an, wenn's geht!« Ljewin sagte schlaftrunken: »Meine Herren, morgen,
    sobald es hell wird!« und schlief wieder ein.
Fußnoten
    1 (frz.) Sie waren bezaubernd.
    2 (frz.) Köstlich.
    3 (frz.) Der König ist tot, es lebe der
    König!
    4 (frz.) Das hat keine Folgen.
    5 (frz.) Meine Herren, kommen Sie
    schnell!

12
    Ljewin erwachte, als es kaum dämmerte, und versuchte, seine Gefährten aufzuwecken. Wasenka lag auf dem Bauche,
    das eine noch mit dem Strumpfe bekleidete Bein lang ausgestreckt, und schlief so fest, daß von ihm keine Antwort zu
    erlangen war. Oblonski weigerte sich schlaftrunken, so früh aufzubrechen. Selbst Laska, die ringförmig
    zusammengerollt am Rande des hingeschütteten Heues geschlafen hatte, stand nur ungern auf und reckte und dehnte
    träge ihre Hinterbeine eines nach dem andern. Nachdem Ljewin Strümpfe und Stiefel angezogen, seine Flinte genommen
    und behutsam das knarrende Scheunentor geöffnet hatte, trat er auf die Straße hinaus. Die Kutscher schliefen bei
    den Wagen, die Pferde standen im Halbschlummer da. Nur eines von ihnen fraß träge seinen Hafer, den es mit der
    Schnauze in der Stehkrippe hin und her warf. Es sah draußen noch alles grau aus.
    »Warum bist du denn schon so früh aufgestanden, lieber Herr?« fragte ihn freundlich wie einen guten alten
    Bekannten die nicht mehr jugendliche Hausfrau, die soeben aus dem Hause heraustrat.
    »Ich will auf die Jagd, Tantchen. Komme ich hier nach dem Sumpfe?«
    »Gerade durch den Hinterhof, an unseren Tennen vorbei, lieber Herr, und durch die Hanffelder; es ist ein Fußweg
    da.«
    Vorsichtig mit den nackten, von der Sonne gebräunten Füßen auftretend, führte die Bauersfrau Ljewin und öffnete
    ihm die Umzäunung bei der Tenne.
    »Immer geradeaus, dann kommst du nach dem Sumpfe. Unsere Leute haben gestern abend die Pferde dahin
    getrieben.«
    Laska lief vergnügt auf dem Fußpfade voran; Ljewin folgte ihr raschen, leichten Schrittes und blickte
    fortwährend nach dem Himmel. Es wäre ihm lieb gewesen, wenn die Sonne nicht früher aufgegangen wäre, als bis er den
    Sumpf erreicht hätte. Aber die Sonne sputete sich. Der Mond, der noch hell geleuchtet hatte, als Ljewin sein
    Nachtlager verließ, schimmerte jetzt nur wie eine Quecksilbermasse; die Morgenröte, die vorher unwillkürlich die
    Blicke auf sich gezogen hatte, mußte man jetzt ordentlich suchen; einige vorher undeutliche Flecke auf dem fernen
    Felde waren jetzt klar sichtbar. Es waren Roggenschober. Der ohne das Sonnenlicht noch unsichtbare Tau in dem
    duftenden, hohen Hanffelde, aus dem die männlichen Hanfpflanzen bereits ausgezogen waren, benetzte Ljewins Beine
    und die Hemdbluse bis über den Gürtel hinauf. In der klaren, stillen Morgenluft war das leiseste Geräusch
    vernehmbar. Eine Biene flog mit dem pfeifenden Tone einer Flintenkugel an Ljewins Ohr vorbei. Er blickte aufmerksam
    hin und sah noch eine zweite und eine dritte. Sie kamen alle hinter dem geflochtenen Zaune eines Bienengartens
    hervorgeflogen und verschwanden über dem Hanffelde in der Richtung nach dem Sumpfe. Der Fußweg führte gerade darauf
    zu. Die Lage des Sumpfes konnte man an den Dünsten erkennen, die sich an

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