Anna Karenina
und sah sich noch vorsichtiger, mehr mit den Augen als mit dem
Kopfe, nach ihrem Herrn um. Dieser kam mit seiner gewöhnlichen, ihr vertrauten Miene, aber mit einem ihr immer
furchtbar erscheinenden Ausdruck der Augen, über die Erdhöcker strauchelnd, heran, wie es ihr schien, überaus
langsam. Aber es schien ihr nur so, daß er langsam ging; in Wirklichkeit lief er.
Als Ljewin jene besondere Art zu suchen bei Laska bemerkt hatte, wobei sie sich ganz an die Erde drückte und mit
den Hinterfüßen große, den Bewegungen beim Rudern ähnliche Schritte machte und das Maul ein wenig öffnete, da war
es ihm nicht zweifelhaft, daß sie Schnepfen witterte, und im stillen zu Gott betend, daß die Jagd gut vonstatten
gehen möge, namentlich gleich beim ersten Vogel, lief er zu ihr. Als er dicht bei ihr war, sah er von seiner Höhe
herab vor sich hin und erblickte mit den Augen, was sie mit der Nase wahrgenommen hatte. In einer kleinen Gasse
zwischen zwei Erdhöckern, in einer Entfernung von drei bis vier Schritten, saß eine Schnepfe. Sie hatte den Kopf
umgedreht und lauschte. Dann streckte sie die Flügel ein ganz klein wenig aus, legte sie aber sofort wieder
zusammen und verschwand, ungeschickt mit dem Steiße wackelnd, hinter einer Ecke.
»Faß! Faß!« rief Ljewin und stieß Laska gegen das Hinterteil.
›Aber ich kann doch nicht hingehen‹, dachte Laska. ›Wohin soll ich denn laufen? Von hier aus wittere ich die
Schnepfen; aber wenn ich mich vorwärts bewege, so weiß ich nicht mehr, wo sie sind.‹ Aber da stieß Ljewin sie mit
dem Knie an und flüsterte ihr in großer Aufregung zu: »Faß, brave Laska, faß!«
›Na, wenn er es denn durchaus will, dann werde ich es tun; aber daß ich etwas erreiche, kann ich nicht
versichern‹, dachte sie und rannte, so schnell sie nur konnte, vorwärts zwischen die Erdhöcker hinein. Jetzt
witterte sie nichts mehr; sie sah und hörte nur, konnte aber nichts erkennen.
Etwa zehn Schritte von dem ursprünglichen Platze erhob sich die Schnepfe mit kräftigem Murksen und mit dem
diesen Vögeln eigenen weich, klingenden Flügelschlage. Und gleich nach dem Schusse klatschte sie schwer mit der
weißen Brust auf den nassen Moorgrund hinab. Eine zweite Schnepfe flog hinter Ljewin auf, ohne zu warten, bis der
Hund sie auftrieb.
Als Ljewin sich nach ihr umwandte, war sie schon weit weg. Aber der Schuß erreichte sie doch noch. Sie flog noch
etwa zwanzig Schritte weiter, hob sich dann senkrecht in die Höhe und fiel kopfüber wie ein hochgeschleuderter Ball
schwer auf eine trockene Stelle nieder.
›Auf die Art wird es sich schon machen!‹ dachte Ljewin, während er die warmen, fetten Schnepfen in die
Jagdtasche steckte. »Na, meine brave Laska, wird es sich machen?«
Als Ljewin seine Flinte wieder geladen hatte und weiterging, war die Sonne, obgleich sie hinter den Wolken noch
nicht sichtbar war, doch bereits aufgegangen. Der Mond, der all seinen Glanz verloren hatte, stand wie ein weißes
Wölkchen am Himmel; von den Sternen war auch nicht einer mehr zu sehen. Die mit Moos bedeckten Teile des Sumpfes,
die vorher vom Tau wie Silber geschimmert hatten, glänzten jetzt wie Gold. Das Moorwasser hatte ganz die Farbe des
Bernsteins angenommen. Der bläuliche Farbenton der Sumpfgräser war in ein gelbliches Grün übergegangen. Kleine
Sumpfvögel regten sich auf den Sträuchern am Bache, die von Tau glänzten und langen Schatten warfen. Auch ein
Habicht war schon wach, saß auf einem Getreideschober, drehte den Kopf von einer Seite nach der anderen und blickte
mißvergnügt nach dem Sumpfe hin. Die Dohlen flogen nach dem Felde, und ein barfüßiger Junge trieb schon ein paar
Pferde zu einem alten Bauern, der sich unter seinem Rocke aufgerichtet hatte und sich kratzte. Der Pulverdampf von
den Schüssen lagerte sich milchweiß über dem grünen Grase.
Einer von den Jungen kam zu Ljewin herangelaufen.
»Onkelchen, gestern waren hier auch Enten!« rief er ihm zu und ging dann in einiger Entfernung hinter ihm
her.
Und für Ljewin war es doppelt vergnüglich, vor den Augen dieses Jungen, der seinen Beifall zum Ausdruck brachte,
in derselben Gegend kurz hintereinander noch drei Bekassinen zu erlegen.
13
Der Jägerglaube, daß die Jagd einen glücklichen Verlauf nimmt, wenn man das erste Stück Haar- oder Federwild
nicht verfehlt, erwies sich als richtig.
Müde, hungrig und glückselig kehrte Ljewin zwischen neun und zehn Uhr vormittags nach seinem Quartier
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