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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Verlaufe und von den
    verschiedensten Seiten. Ihre Gedanken kamen ihr selbst sonderbar vor. Zuerst dachte sie an ihre Kinder; obgleich
    die Fürstin und namentlich Kitty (auf diese setzte sie das größere Vertrauen) ihr versprochen hatten, auf sie
    aufzupassen, beunruhigte sie sich dennoch um sie. ›Wenn nur Mascha nicht wieder dumme Streiche macht; wenn nur
    Grigori nicht von einem Pferde geschlagen wird, und wenn es nur mit Lillys Magenverstimmung nicht noch schlimmer
    wird.‹ Dann aber wurden die Fragen der Gegenwart von Fragen der nächsten Zukunft abgelöst. Sie dachte daran, daß
    sie in Moskau zum nächsten Winter eine neue Wohnung mieten müßten, daß für das Wohnzimmer die Anschaffung anderer
    Möbel erforderlich sei und daß sie ihrer ältesten Tochter einen Pelz machen lassen müsse. Dann traten ihr Fragen,
    die einer ferneren Zukunft angehörten, entgegen: wie sie die Kinder, wenn sie nun heranwüchsen, werde leiten
    können. ›Mit den Mädchen, das wird sich noch machen‹, dachte sie, ›wie aber mit den Knaben?‹
    ›Nun ja, ich beschäftige mich jetzt mit Grigori; aber das ist doch nur deshalb möglich, weil ich selbst jetzt
    gerade frei und durch keine Entbindung behindert bin. Auf Stiwa ist bei der Erziehung der Kinder natürlich nicht zu
    rechnen. Aber mit Hilfe guter Menschen werde ich sie schon erziehen; nur wenn dann wieder eine Schwangerschaft
    kommen sollte ...‹ Und es kam ihr der Gedanke, daß es doch eigentlich mit Unrecht heiße, der auf das Weib gelegte
    Fluch bestehe darin, mit Schmerzen Kinder zu gebären. ›Gebären, das ist noch nicht das Schlimmste; aber die
    Schwangerschaft, das ist eine Marter‹, dachte sie und vergegenwärtigte sich ihre letzte Schwangerschaft und den Tod
    dieses letzten Kindchens. Sie mußte dabei an das Gespräch denken, das sie in dem Einkehrhause mit einer jungen Frau
    geführt hatte. Auf die Frage, ob sie Kinder habe, hatte die hübsche junge Frau fröhlich geantwortet:
    ›Ich hatte ein Töchterchen; aber Gott hat es mir wieder genommen; in der Fastenzeit habe ich es be graben.‹
    ›Da bist du wohl sehr traurig darüber gewesen?‹ hatte Darja Alexandrowna gefragt.
    ›Weshalb sollte ich traurig sein? Der Alte hat schon Enkel genug. Man hat nur Sorge davon. Weder arbeiten kann
    man noch sonst etwas tun. Es ist nur ein Hindernis.‹
    Diese Antwort hatte für Darja Alexandrowna trotz des gutherzigen, freundlichen Wesens der jungen Frau etwas
    Abstoßendes gehabt; aber jetzt kamen ihr diese Worte unwillkürlich wieder in den Sinn. In diesen herzlosen,
    eigensüchtigen Worten steckte doch auch ein gut Teil Wahrheit, meinte sie.
    ›Ja, und überhaupt‹, dachte Darja Alexandrowna, indem sie ihr ganzes Leben während all dieser Jahre ihrer Ehe
    überblickte, ›was man dabei durchzumachen hat: die Schwangerschaft, die Übelkeit, die Benommenheit, die
    Gleichgültigkeit gegen alles und vor allen Dingen die körperliche Entstellung. Kitty, die junge, hübsche Kitty,
    auch die, wie häßlich ist sie geworden, und ich sehe, wenn ich schwanger bin, ganz mißgestaltet aus, das weiß ich.
    Dann das Gebären, die Schmerzen dabei, diese gräßlichen Schmerzen, dieser letzte Augenblick ... dann das Nähren,
    diese schlaflosen Nächte, diese furchtbaren Leiden ...‹
    Darja Alexandrowna fuhr bei der bloßen Erinnerung an die aufgesprungenen Brustwarzen zusammen, ein Übel, das sie
    fast bei jedem Kinde durchgemacht hatte. ›Dann die Krankheiten der Kinder, diese ewige Angst; dann die Erziehung,
    die häßlichen Neigungen‹ (sie erinnerte sich an die Übeltat der kleinen Mascha in den Himbeeren), ›der Unterricht,
    das Lateinische – alles das macht soviel Kopfzerbrechen und soviel Mühe. Und zu alledem dann noch der Tod dieser
    Kinder, die einem so schwer geworden sind.‹ Und wieder tauchte vor ihrem geistigen Blick eine schreckliche
    Erinnerung auf, die unaufhörlich auf ihrem Mutterherzen lastete, die Erinnerung an den Tod des letzten Kindchens,
    das als Säugling an der Bräune gestorben war, und an sein Begräbnis: wie teilnahmlos alle Anwesenden angesichts
    dieses kleinen rosa Särgleins gewesen waren und welchen herzzerreißenden Schmerz sie selbst ganz allein empfunden
    hatte beim Anblick der blassen kleinen Stirn mit den lockigen Härchen an den Schläfen und des wie in Verwunderung
    geöffneten Mündchens, das aus dem Sarge noch in dem Augenblick hervorgeschaut hatte, als der rosa Deckel mit dem
    Kreuz aus Goldborte daraufgelegt wurde.
    ›Und wozu

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