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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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raten Sie mir? Kamerowski, passen Sie doch auf den Kaffee auf! Er
    kocht ja über! Sie sehen doch, daß ich mit ernsten Dingen beschäftigt bin! Ich möchte einen Prozeß anfangen, weil
    ich mein Vermögen für mich allein haben will. Können Sie eine solche Dummheit begreifen: mit der Begründung, ich
    sei ihm untreu geworden«, fuhr sie in verächtlichem Tone fort, »will er von meinem Vermögen Vorteil ziehen!«
    Wronski hörte mit Vergnügen das lustige Geplapper der hübschen Frau an, sagte ihr Schmeicheleien, gab ihr halb
    scherzhafte Ratschläge und nahm überhaupt sofort den Ton an, der ihm im Verkehr mit derartigen Damen geläufig war.
    Nach den Begriffen der Gesellschaft, die in Petersburg seinen Umgangskreis bildete, zerfielen die Menschen in zwei
    einander völlig entgegengesetzte Gattungen. Erstens eine niedere: das waren geschmacklose, dumme und vor allem
    lächerliche Leute, die meinten, ein Mann dürfe nur mit der einen Frau leben, mit der er getraut sei, ein junges
    Mädchen müsse unschuldig sein, eine Frau züchtig, ein Mann gesetzt, enthaltsam und solid, man müsse Kinder
    aufziehen, sich durch Arbeit sein Brot erwerben, seine Schulden bezahlen und mehr derartige Dummheiten. Dies war
    die Gattung der altmodischen, komischen Leute. Aber es gab auch noch eine andere Gattung von Menschen: die
    wirklichen Menschen, zu denen sie selbst alle gehörten; in dieser Gattung mußte man vor allem elegant, großartig,
    keck und heiter sein, sich, ohne zu erröten, jeder Leidenschaft überlassen und sich über alles übrige lustig
    machen.
    Wronski war nur im ersten Augenblicke, unter der Nachwirkung der von Moskau mitgebrachten Eindrücke aus einer
    ganz anderen Welt, noch wie betäubt gewesen, hatte sich aber dann, wie wenn jemand mit den Füßen in seine
    Pantoffeln hineinfährt, sofort wieder in seiner früheren vergnügten, angenehmen Welt zurechtgefunden.
    Der Kaffee wollte durchaus nicht richtig kochen; er bespritzte alle, lief über, ergoß sich über den teueren
    Teppich und über das Kleid der Baronin und brachte dadurch gerade die Wirkung hervor, die hier nötig war: er gab
    Anlaß zu Lärm und Gelächter.
    »Nun leben Sie aber wohl, sonst kommen Sie nie dazu, sich zu waschen, und ich habe es dann auf dem Gewissen, Sie
    zu dem schlimmsten Verbrechen eines anständigen Menschen, zur Unsauberkeit, veranlaßt zu haben. Also Sie raten mir,
    ihm das Messer an die Kehle zu setzen?«
    »Unbedingt, und zwar so, daß Ihr Händchen recht nahe an seine Lippen kommt. Er wird Ihr Händchen küssen, und
    alles wird ein erfreuliches Ende nehmen«, antwortete Wronski.
    »Also heut abend im Französischen Theater!« Und mit dem Kleide rauschend, verschwand sie.
    Auch Kamerowski stand auf, und Wronski reichte ihm, ohne seinen Weggang abzuwarten, die Hand und ging in sein
    Toilettenzimmer. Während er sich wusch, schilderte ihm Petrizki in kurzen Zügen seine Lage, soweit sie sich nach
    Wronskis Abreise verändert hatte. Geld habe er keines mehr. Sein Vater habe erklärt, er werde ihm nichts mehr geben
    und auch seine Schulden nicht bezahlen. Sein Schneider wolle ihn ins Schuldgefängnis setzen lassen, und ein anderer
    Gläubiger habe ihm gleichfalls auf das bestimmteste damit gedroht. Der Regimentskommandeur habe ihm eröffnet, wenn
    diese Skandalgeschichten nicht aufhörten, müsse er seinen Abschied nehmen. Die Baronin sei ihm so widerwärtig
    geworden wie ein bitterer Rettich, namentlich deswegen, weil sie ihm immer Geld geben wolle. Da habe er aber jetzt
    ein anderes Frauenzimmer entdeckt – er wolle sie ihm zeigen –, eine wahre Pracht, rein zum Entzücken, so in streng
    orientalischem Stil, »im Genre der Magd Rebekka, weißt du!« Mit Berkoschew habe er auch einen argen Zank gehabt und
    wolle ihm seine Sekundanten schicken; aber selbstverständlich werde weiter nichts dabei herauskommen. Im
    allgemeinen aber gehe es ihm ganz vortrefflich, und er sei höchst fidel. Und ohne daß er seinem Kameraden Zeit
    gelassen hätte, auf die Einzelheiten seiner Lage näher einzugehen, ging Petrizki dazu über, ihm alle interessanten
    Neuigkeiten zu erzählen. Während Wronski diese ihm so wohlbekannte Sorte von Geschichten in dem ihm so
    wohlbekannten Getriebe der nun schon drei Jahre von ihm innegehabten Wohnung anhörte, empfand er das angenehme
    Gefühl der Rückkehr zu seinem gewohnten sorglosen Petersburger Leben.
    »Nicht möglich!« rief er und hob den Fuß von dem Trittbrett der Wascheinrichtung weg, durch die er

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