Anna Karenina
seinen roten,
gesunden Hals mit Wasser übergossen hatte. »Nicht möglich!« rief er bei der Nachricht, daß Fräulein Lora sich von
Fertinghof losgesagt habe und Milejews Freundin geworden sei. »Und ist Fertinghof immer noch so dumm und mit allem
zufrieden? Na, und was macht denn Busulukow?«
»Ach, mit Busulukow hat sich eine Geschichte abgespielt, eine ganz kostbare Geschichte!« rief Petrizki. »Seine
Leidenschaft sind bekanntlich Bälle, und er versäumt keinen einzigen Hofball. Na, er geht also auf einen großen
Ball mit dem neuen Helm. Hast du die neuen Helme schon gesehen? Sie sind sehr hübsch, leichter als die bisherigen.
Er steht also so da, – Nein, du mußt aber auch zuhören!«
»Ich höre ja zu!« antwortete Wronski, der sich gerade mit einem Frottierhandtuch abtrocknete.
»Da geht gerade eine Großfürstin mit irgendwelchem Gesandten an ihm vorbei, und zu seinem Unglück dreht sich das
Gespräch der beiden gerade um die neuen Helme. Die Großfürstin will dem Gesandten einen solchen neuen Helm zeigen.
Da sieht sie unseren braven Busulukow stehen (Petrizki machte nach, wie dieser mit dem Helme dagestanden hatte);
die Großfürstin ersucht ihn, ihr den Helm einmal herzugeben, – er gibt ihn nicht. Großes Erstaunen, was das heißen
soll. Die Umstehenden zwinkern ihm zu, machen ihm Zeichen mit dem Kopfe, schneiden ihm finstere Gesichter: er solle
doch den Helm hinreichen. Er tut es nicht. Er steht wie erstarrt da. Du kannst dir die Szene vorstellen! Da kommt
dieser ... – wie heißt er doch gleich? – und will ihm den Helm wegnehmen. Er läßt ihn nicht los! Der reißt ihn ihm
aus der Hand und reicht ihn der Großfürstin. ›Sehen Sie, das ist der neue Helm‹, sagt die Großfürstin. Sie dreht
den Helm um, und nun stell dir das mal vor: bums! fällt eine Birne und Konfekt heraus, zwei Pfund Konfekt! – Das
hatte er sich da hineingestopft, unser edler Busulukow!«
Wronski wollte sich totlachen. Und noch lange nachher, als sie schon von anderen Dingen sprachen, brach er, wenn
er an den Helm dachte, immer von neuem in ein kräftiges Gelächter aus, so daß seine starken, vollzähligen Zähne
sichtbar wurden.
Nachdem er alle Neuigkeiten erfahren hatte, legte er mit Hilfe seines Dieners die Uniform an und fuhr weg, um
sich zu melden. Nach der Meldung beabsichtigte er zu seinem Bruder und zur Fürstin Betsy Twerskaja zu fahren und
sonst noch einige Besuche zu machen, um sich Zugang zu den Kreisen zu verschaffen, in denen er Frau Karenina
treffen konnte. Wie stets in Petersburg, fuhr er von Hause mit der Absicht fort, erst spät in der Nacht
zurückzukommen.
1
Gegen Ende des Winters fand bei Schtscherbazkis eine ärztliche Beratung statt, durch die festgestellt werden
sollte, wie es mit Kittys Gesundheit stehe und was zur Hebung ihrer dahinschwindenden Kräfte zu unternehmen sei.
Sie war krank, und mit dem Herannahen des Frühlings verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand nur noch mehr. Der
Hausarzt hatte ihr Lebertran, dann Eisen, darauf Höllenstein verordnet; aber da weder das erste noch das zweite
noch das dritte Mittel geholfen und da er geraten hatte, zum Frühjahr ins Ausland zu reisen, so wurde noch eine
erste Kraft zu Rate gezogen. Dieser berühmte Arzt, ein noch nicht alter, sehr schöner Mann, forderte eine
Untersuchung der Patientin. Energisch und, wie es schien, mit besonderem Vergnügen sprach er seine Ansicht aus, daß
mädchenhafte Scham nur ein Überrest altbarbarischer Vorurteile sei, und es erschien ihm als die natürlichste Sache
von der Welt, daß ein noch nicht bejahrter Mann den nackten Körper eines jungen Mädchens betaste. Er fand das
natürlich, weil er es jeden Tag tat und dabei, seiner Ansicht nach, weiter nichts Schlimmes fühlte und dachte, und
darum hielt er Schamhaftigkeit bei einem jungen Mädchen nicht nur für einen Überrest von Barbarentum, sondern auch
für eine gegen ihn gerichtete Beleidigung.
Man mußte sich ihm fügen; denn obgleich alle Ärzte dieselben Universitätskurse durchmachen und aus denselben
Büchern dieselbe Wissenschaft studieren und obgleich manche Leute behaupteten, diese erste Kraft sei ein schlechter
Arzt, so galt es doch bei der Fürstin wie in ihrem ganzen Bekanntenkreise aus nicht näher nachweisbaren Gründen als
ausgemacht, daß einzig und allein dieser berühmte Arzt etwas Tüchtiges verstehe und daß nur er Kitty retten könne.
Nach eingehender Besichtigung und längerer Beklopfung der vor
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