Anna Karenina
die Mutter«, fügte
er hinzu.
»Ah so! Nun, wenn es so ist, schön, dann mögen sie meinetwegen reisen. Nur werden diese deutschen Pfuscher
Schaden anrichten. Die Leute müssen sich streng an unsere Weisungen halten. – Nun, dann mögen sie reisen.«
Er sah wieder nach der Uhr.
»Oh, es wird für mich Zeit!« Und er ging zur Tür.
Der berühmte Arzt erklärte der Fürstin (sein Gefühl für ärztlichen Anstand veranlaßte ihn dazu), er müsse die
Kranke noch einmal sehen.
»Wie, noch eine Untersuchung?« rief die Mutter erschrocken.
»O nicht doch, ich brauche nur noch ein paar Einzelheiten, Fürstin.«
»Dann bitte, kommen Sie!«
Von dem Arzte begleitet, ging sie zu Kitty. Mit eingesunkenen, geröteten Wangen und einem eigentümlichen Glanz
in den Augen infolge der ausgestandenen Schmach, stand Kitty mitten im Zimmer. Beim Eintritt des Arztes wurde sie
dunkelrot, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihre ganze Krankheit und deren ärztliche Behandlung erschienen
ihr als etwas so Dummes, als etwas geradezu Lächerliches. Diese Bemühungen der Ärzte kamen ihr ebenso lächerlich
vor, wie wenn jemand die Scherben einer zerbrochenen Vase wieder zusammensetzen wollte. Ihr Herz war zerbrochen.
Und da wollten sie es mit Pillen und Pulvern heilen? Aber sie durfte die Mutter nicht kränken, um so weniger, da
diese sich schuldig fühlte.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Prinzessin!« sagte der berühmte Arzt.
Er setzte sich lächelnd ihr gegenüber, fühlte ihren Puls und begann wieder seine lästigen Fragen zu stellen. Sie
antwortete ihm; aber plötzlich stand sie zornig auf.
»Entschuldigen Sie, aber das hat wirklich keinen Zweck. Sie fragen mich zum dritten Mal dasselbe.«
Der berühmte Arzt zeigte keine Spur von Empfindlichkeit.
»Krankhafte Gereiztheit«, bemerkte er der Fürstin gegenüber, als Kitty hinausgegangen war. »Übrigens bin ich
fertig.«
Und nun setzte er der Fürstin, der er damit zu verstehen gab, daß er sie als eine Dame von ganz ungewöhnlicher
geistiger Begabung betrachte, den Zustand der Prinzessin in wissenschaftlicher Form auseinander und schloß mit
einer genauen Anweisung, wie der Brunnen getrunken werden müsse, der doch in Wirklichkeit vollständig unnütz war.
Auf die Frage, ob wohl eine Reise ins Ausland zweckmäßig sein werde, versank der Arzt in tiefes Nachdenken, wie
wenn es sich um die Lösung eines sehr schwierigen Rätsels handele. Endlich verkündete er die Entscheidung, zu der
er gelangt war: sie sollten reisen, möchten sich aber nicht den deutschen Pfuschern anvertrauen, sondern sich in
allem an ihn wenden.
Es war, als hätte sich mit dem Wegfahren des Arztes etwas Erfreuliches ereignet. Die Mutter war, als sie zu
ihrer Tochter zurückkehrte, wieder wesentlich heiterer geworden, und Kitty stellte sich, als sei bei ihr das
gleiche der Fall. Sie sah sich jetzt häufig, fast dauernd, dazu genötigt, sich zu verstellen.
»Wirklich, ich bin gesund, maman. Aber wenn Sie gern reisen möchten, so könnten wir es ja tun«, sagte sie, und
um ihr Interesse für die bevorstehende Reise an den Tag zu legen, begann sie von den dazu nötigen Vorbereitungen zu
sprechen.
2
Bald nachdem der Arzt fort war, kam Dolly. Sie wußte, daß an diesem Tage eine Beratung der beiden Ärzte
stattfinden sollte, und obwohl sie erst vor kurzem vom Wochenbett aufgestanden war (sie war gegen Ende des Winters
von einem Mädchen entbunden worden) und obwohl sie viel eigenen Kummer und eigene Sorgen hatte, verließ sie ihr
Baby und ein anderes erkranktes Töchterchen und kam, um sich nach Kittys Schicksal zu erkundigen, das sich heute
entscheiden sollte.
»Nun, wie steht es?« fragte sie, als sie in den Salon trat; sie hatte den Hut gar nicht abgenommen. »Ihr seid ja
alle so fröhlich. Da steht es gewiß gut?«
Man versuchte nun, ihr zu erzählen, was der Arzt gesagt habe; aber obgleich dieser sehr lange und in
wohlgesetzter Rede gesprochen hatte, erwies es sich doch als ein Ding der Unmöglichkeit, das, was er nun eigentlich
gesagt hatte, wiederzugeben. Das Interessanteste war ohne Zweifel, daß die Reise ins Ausland beschlossene Sache
war.
Dolly mußte unwillkürlich seufzen bei dem Gedanken, daß ihre beste Freundin, ihre Schwester, nun reisen sollte.
Und ihr eigenes Leben war so wenig heiter. Ihr Verhältnis zu Stepan Arkadjewitsch hatte sich nach der Versöhnung
noch unwürdiger gestaltet. Die von Anna vorgenommene Zusammenkittung hatte sich nicht als dauerhaft
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