Anna Karenina
die Höhe, und von neuem überbiete ich mich in diplomatischen Feinheiten.«
»Ach, das muß ich Ihnen erzählen!« rief Betsy lachend einer Dame zu, die zu ihr in die Loge trat. »Er hat mich
so zum Lachen gebracht ... Nun, bonne chance 1 !«
fügte sie, zu Wronski gewendet, hinzu und reichte ihm einen Finger, den sie beim Halten des Fächers noch frei
hatte; zugleich schob sie die Taille ihres Kleides, die sich etwas hinaufgezogen hatte, durch eine Bewegung der
Schultern nach unten, um, wie es sich gehört, vollständig entblößt zu sein, wenn sie nach vorn an die Brüstung der
Loge in das helle Licht der Gasflammen träte, um von allen gesehen zu werden.
Wronski fuhr zum Französischen Theater. Er mußte wirklich dringend den Regimentskommandeur sprechen und wußte,
daß er ihn dort träfe, da dieser nie eine Vorstellung im Französischen Theater versäumte; ihm wollte Wronski über
seine Friedensvermittlung berichten, die ihn nun schon seit zwei Tagen beschäftigte und belustigte. Bei diesem
Vorfall war einer der Beteiligten Petrizki, den Wronski sehr gern hatte, und der andere ein erst kürzlich
eingetretener prächtiger junger Mann und vorzüglicher Kamerad, der junge Fürst Kedrow. Die Hauptsache aber war, daß
es sich dabei um den guten Ruf des Regiments handelte.
Die beiden jungen Offiziere gehörten zu Wronskis Eskadron. Der Titularrat Wenden hatte den Regimentskommandeur
vor einigen Tagen aufgesucht und sich bei ihm über zwei seiner Offiziere beschwert, die seine Gattin beleidigt
hätten. Wenden erzählte, seine junge Frau – er sei nämlich erst ein halbes Jahr verheiratet – sei mit ihrer Mutter
in der Kirche gewesen und habe dort ein Unwohlsein verspürt, das durch einen gewissen körperlichen Zustand
hervorgerufen sei. Sie sei nicht imstande gewesen, länger zu stehen, und sei daher mit der ersten Droschke, die sie
habe bekommen können – es sei eine Droschke erster Klasse gewesen –, nach Hause gefahren. Da seien zwei Offiziere
in einem Wagen ihr nachgejagt. Sie habe einen furchtbaren Schreck bekommen und sei dadurch noch kränker geworden;
so sei sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufgelaufen. Er selbst, Wenden, habe nach seiner Rückkehr vom Amt die
Klingel an der Tür und dann mehrere Stimmen gehört; er sei hingegangen, und als er dort die beiden betrunkenen
Offiziere mit einem Briefe erblickt habe, habe er sie aus dem Vorsaal hinausgedrängt. Er ersuche um strenge
Bestrafung.
»Nein, das müssen Sie selbst zugeben«, hatte der Regimentskommandeur zu Wronski gesagt, den er hatte zu sich
kommen lassen, »dieser Petrizki macht sich unmöglich. Es vergeht keine Woche ohne irgendeine Skandalgeschichte.
Dieser Beamte wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, sondern wird weitergehen.«
Wronski hatte sofort eingesehen, daß dies eine undankbare Aufgabe sei und ein Duell dabei nicht in Frage komme,
daß man vielmehr alles mögliche tun müsse, um diesen Titularrat zu besänftigen und die Sache damit aus der Welt zu
schaffen. Der Regimentskommandeur hatte Wronski gerade deshalb zu sich bestellt, weil er ihn für einen vornehm
denkenden, verständigen Menschen hielt, namentlich aber für einen Mann, dem die Ehre des Regiments am Herzen lag.
Sie hatten nun die Sache miteinander durchgesprochen und waren zu dem Ergebnis gelangt, Petrizki und Kedrow sollten
sich mit Wronski zu diesem Titularrat begeben und ihn um Entschuldigung bitten. Der Regimentskommandeur und Wronski
waren beide der Ansicht, daß Wronskis Name und das Abzeichen des Flügeladjutanten auf seinen Achselstücken zur
Besänftigung des Titularrates erheblich mitwirken würden. Und tatsächlich hatten sich diese beiden Mittel teilweise
wirksam gezeigt; aber der Erfolg des Vermittlungsversuchs war doch noch einigermaßen zweifelhaft geblieben, wie das
Wronski auch seiner Cousine erzählt hatte.
Als Wronski im Französischen Theater angelangt war, zogen der Regimentskommandeur und er sich in das Foyer
zurück, und Wronski berichtete seinem Chef über seinen Erfolg oder Mißerfolg. Nachdem der Regimentskommandeur alles
hin und her erwogen hatte, kam er zu dem Entschlusse, gegen die Schuldigen nicht weiter vorzugehen; aber dann
fragte er des Spaßes halber Wronski über die Einzelheiten seiner Verhandlungen aus und mußte lange Zeit immer von
neuem loslachen, als er Wronski erzählen hörte, wie der Titularrat, nachdem er sich schon einigermaßen beruhigt
hatte, bei der Erinnerung an die näheren
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