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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Abendgesellschaft besuchte und ihn wider ihr Erwarten dort
    nicht traf, da merkte sie an der Traurigkeit, die sich ihrer bemächtigte, daß sie sich täuschte und daß diese
    Verfolgung ihr ganz und gar nicht unangenehm sei, sondern vielmehr ganz im Gegenteil ihr höchstes Lebensinteresse
    bildete.
    Eine berühmte Sängerin trat zum zweiten Male auf, und alles, was sich zur guten Gesellschaft rechnete, war in
    der Oper. Wronski hatte seinen Platz in der er sten Reihe des Parketts, und als er von dort aus seine Cousine
    erblickte, begab er sich, ohne den Zwischenakt abzuwarten, zu ihr in die Loge.
    »Warum sind Sie denn nicht zum Diner zu uns gekommen?« fragte sie ihn.
    »Ich bin erstaunt über diese Hellseherei der Verliebten«, fügte sie lächelnd so leise hinzu, daß nur er es hören
    konnte. »Sie ist nämlich nicht da gewesen. Aber kommen Sie nach der Oper zu uns!«
    Wronski richtete einen fragenden Blick auf sie. Sie nickte mit dem Kopfe. Er dankte ihr mit einem Lächeln und
    setzte sich neben sie.
    »Oh, wie gut ich mich an Ihre Spöttereien erinnere!« fuhr die Fürstin Betsy fort, die ein besonderes Vergnügen
    darin fand, die Fortschritte dieser Leidenschaft zu beobachten. »Wo ist das alles geblieben? Nun sind Sie gefangen,
    mein Lieber!«
    »Weiter wünsche ich ja auch nichts, als gefangen zu sein«, antwortete Wronski mit seinem ruhigen, gutmütigen
    Lächeln. »Wenn ich mich über etwas beklage, so tue ich es nur darüber, daß ich, um die Wahrheit zu sagen, gar zu
    wenig gefangen bin. Ich beginne die Hoffnung zu verlieren.«
    »Was für eine Hoffnung können Sie denn hegen?« fragte Betsy, sich für ihre Freundin gekränkt stellend.
    »Entendonsnous!« Aber das Glitzern in ihren Augen ließ erkennen, daß sie recht gut und genauso wie er verstand,
    welche Hoffnung er hegen konnte.
    »Gar keine«, erwiderte Wronski lachend und zeigte seine lückenlosen Zahnreihen. »Verzeihung!« fuhr er fort, nahm
    ihr das Opernglas aus der Hand und begann über ihre entblößte Schulter hinweg die gegenüberliegende Logenreihe zu
    mustern. »Ich fürchte, lächerlich zu werden.«
    Er wußte sehr wohl, daß er keine Gefahr lief, in den Augen seiner Cousine und aller dieser Weltleute lächerlich
    zu werden. Er wußte sehr wohl, daß in den Augen dieser Leute zwar die Rolle dessen, der, ohne Erhörung zu finden,
    ein Mädchen oder eine alleinstehende Frau liebt, lächerlich sein konnte, daß aber die Rolle eines Mannes, der sich
    um eine verheiratete Frau bemüht und alles, selbst sein Leben, daransetzt, sie zum Ehebruch zu verleiten, – daß
    diese Rolle in den Augen jener Leute etwas Schönes, Großartiges hatte und nie lächerlich werden konnte. Und darum
    spielte ein stolzes, fröhliches Lächeln unter dem Schnurrbart um seine Lippen, als er nun das Glas sinken ließ und
    seine Cousine ansah.
    »Aber warum sind Sie denn eigentlich nicht zum Diner zu mir gekommen?« fragte sie ihn und betrachtete sein
    männliches Gesicht mit Wohlgefallen.
    »Das muß ich Ihnen erzählen. Ich hatte zu tun; aber was? Ich wette mit Ihnen hundert gegen eins, tausend gegen
    eins, – Sie raten es nicht. Ich suchte einen Ehemann mit dem Beleidiger seiner Frau zu versöhnen. Ja,
    wahrhaftig!«
    »Nun, haben Sie es denn zustande gebracht?«
    »Beinahe.«
    »Das müssen Sie mir erzählen!« sagte sie, sich erhebend. »Kommen Sie im nächsten Zwischenakt wieder her!«
    »Das ist mir leider unmöglich; ich muß ins Französische Theater fahren.«
    »Von der Nilsson wollen Sie wegfahren?« fragte Betsy ganz entsetzt, obgleich sie es beim besten Willen nicht
    fertiggebracht hätte, die Nilsson von der ersten besten Choristin zu unterscheiden.
    »Nicht anders möglich. Ich habe dort ein Stelldichein, alles in Sachen dieser Friedensvermittlung.«
    »Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden erlöst werden«, sagte Betsy, die sich erinnerte, so etwas
    Ähnliches einmal von jemandem gehört zu haben. »Nun, dann setzen Sie sich gleich jetzt her und erzählen Sie, wie es
    mit der Geschichte war.«
    Sie setzte sich gleichfalls wieder hin.

5
    »Die Geschichte ist zwar ein bißchen kraß, aber so nett, daß es mir das größte Vergnügen macht, sie Ihnen zu
    erzählen«, sagte Wronski und sah sie mit lachenden Augen an. »Ich werde keine Namen nennen.«
    »Dann werde ich sie raten; das ist noch ergötzlicher.«
    »Nun, dann hören Sie zu! Es fahren also zwei lustige junge Männer ...«
    »Natürlich Offiziere von Ihrem Regiment?«
    »Ich habe

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