Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
und das soll so sein und wird künftig so bleiben.‹ Jetzt hatte er eine Empfindung, wie
    wenn jemand nach Hause zurückgekehrt ist und sein Haus verschlossen findet. ›Aber vielleicht ist der Schlüssel noch
    zu finden‹, dachte Alexei Alexandrowitsch.
    »Ich möchte dich davor warnen«, sagte er leise, »aus Unvorsichtigkeit und Leichtsinn den Leuten Anlaß zu Gerede
    über dich zu geben. Deine heutige gar zu lebhafte Unterhaltung mit dem Grafen Wronski (er sprach diesen Namen mit
    fester, ruhiger Stimme in aller Deutlichkeit aus) hat Aufsehen erregt.«
    Während er das sagte, blickte er in ihre lachenden Augen, die ihm jetzt in ihrer Undurchdringlichkeit so
    furchtbar waren, und fühlte schon während des Redens die ganze Nutzlosigkeit und Vergeblichkeit seiner Worte.
    »So bist du immer«, antwortete sie, wie wenn sie ihn gar nicht verstanden hätte; sie tat absichtlich so, als
    habe sie von dem, was er gesagt hatte, nur das letzte verstanden. »Bald ist es dir nicht recht, wenn ich müde und
    gleichgültig bin, und ein andermal nicht, wenn ich lebhaft und lustig bin. Ich habe mich gut unterhalten. Ärgert
    dich das?«
    Alexei Alexandrowitsch zuckte zusammen und bog die ineinandergelegten Hände, um mit den Fingern zu knacken.
    »Ach, bitte, knacke nicht; das ist mir so zuwider!« sagte sie.
    »Anna, bist du es denn wirklich?« fragte Alexei Alexandrowitsch leise, indem er sich Gewalt antat und jene
    Bewegung der Hände unterließ.
    »Was ist denn eigentlich los?« sagte sie mit anscheinend aufrichtiger, komischer Verwunderung. »Was willst du
    von mir?«
    Alexei Alexandrowitsch schwieg eine Weile und rieb sich mit der Hand die Stirn und die Augen. Er sah, daß er,
    statt das zu tun, was er wollte, nämlich seine Frau vor einem falschen Schritt in den Augen der Welt zu warnen,
    sich wider seine Absicht über etwas aufregte, was nur ihr Gewissen betraf, und gleichsam gegen eine Mauer
    ankämpfte, die nur in seiner Einbildung bestand.
    »Was ich dir sagen wollte«, fuhr er kühl und ruhig fort, »ist folgendes, und ich bitte dich, mich anzuhören. Ich
    halte, wie du weißt, die Eifersucht für ein beleidigendes und erniedrigendes Gefühl, und es wird mir nie in den
    Sinn kommen, mich von diesem Gefühle leiten zu lassen; aber es gibt gewisse Gesetze des Anstandes, die man nicht
    ungestraft übertreten kann. Aber heute – und das habe nicht eigentlich ich bemerkt, sondern, nach dem Eindruck zu
    urteilen, den es auf die Gesellschaft gemacht hat, haben es alle bemerkt –, heute hast du dich nicht ganz so
    benommen und gehalten, wie man es hätte wünschen mögen.«
    »Ich verstehe dich schlechterdings nicht«, entgegnete Anna achselzuckend. (›Ihm selbst ist es ganz gleich‹,
    dachte sie. ›Aber in der Gesellschaft hat es Aufsehen erregt, und das beunruhigt ihn.‹) »Du bist krank, Alexei
    Alexandrowitsch«, fügte sie hinzu, stand auf und wollte nach der Tür gehen; aber er machte eine Bewegung vorwärts,
    wie wenn er sie zurückhalten wollte.
    Sein Gesicht war entstellt und finster, wie Anna es noch niemals gesehen hatte. Sie blieb stehen, und indem sie
    den Kopf nach hinten und zur Seite bog, begann sie mit ihrer flinken Hand die Haarnadeln herauszunehmen.
    »Nun schön, dann will ich hören, was noch weiter kommt«, sagte sie in ruhigem, spöttischem Tone. »Ich will sogar
    recht aufmerksam zuhören, weil ich gern begreifen möchte, worum es sich eigentlich handelt.«
    Sie sprach und wunderte sich dabei über den natürlich klingenden, ruhigen, sicheren Ton, in dem sie sprach, und
    über die geschickte Auswahl der Worte, deren sie sich bediente.
    »In alle Einzelheiten deiner Gefühle einzudringen, dazu habe ich kein Recht, und ich halte das überhaupt für
    nutzlos oder sogar für schädlich«, begann Alexei Alexandrowitsch. »Wenn wir im tiefsten Grunde unserer Seele
    herumwühlen, so wühlen wir dabei oft Dinge heraus, die lieber dort unbemerkt hätten liegenbleiben sollen. Deine
    Gefühle, das ist etwas, was nur dein Gewissen angeht; aber ich habe dir gegenüber, mir selbst gegenüber und vor
    Gott die Pflicht, dich auf deine Pflichten hinzuweisen. Dein Leben ist mit dem meinigen nicht durch Menschen
    zusammengefügt worden, sondern durch Gott. Zerrissen kann dieses Band nur durch ein Verbrechen werden, und ein
    derartiges Verbrechen zieht unweigerlich seine Strafe nach sich.«
    »Ich begreife nichts von dem, was du da sagst. Ach, mein Gott, und unglücklicherweise bin ich so furchtbar
    müde!« sagte

Weitere Kostenlose Bücher