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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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er ihr
    hatte sagen wollen, und daß er es auch in einem ganz anderen Tone sagte, als er beabsichtigt hatte. Unwillkürlich
    sprach er mit ihr in seinem gewöhnlichen ironischen Tone, der immer so klang, als wolle er sich über den lustig
    machen, der in dieser Weise spräche. In diesem Tone aber konnte er ihr unmöglich das sagen, was zu sagen notwendig
    war.

11
    Was fast ein ganzes Jahr lang für Wronski den einzigen Wunsch seines Lebens gebildet hatte, der in seiner Seele
    an die Stelle aller früheren Wünsche getreten war; was für Anna ein unmöglicher, furchtbarer und um so
    entzückenderer Traum des Glückes gewesen war: dieser Wunsch hatte seine Erfüllung gefunden. Bleich, mit zitterndem
    Unterkiefer, stand er da und beugte sich zu der vor ihm sitzenden Anna hinab; er beschwor sie, sich zu beruhigen,
    ohne daß er selbst gewußt hätte, inwiefern und womit.
    »Anna, Anna!« sagte er mit bebender Stimme. »Anna, um Gottes willen!«
    Aber je lauter er sprach, um so tiefer senkte sie ihr einst so stolzes, heiteres, jetzt von Scham übergossenes
    Antlitz hinab; sie krümmte sich ganz zusammen und glitt von dem Sofa, auf dem sie saß, auf den Boden nieder, zu
    seinen Füßen; ja, sie wäre mit dem ganzen Körper auf den Teppich hingesunken, wenn er sie nicht gehalten hätte.
    »Um Gottes willen! Vergib mir!« schluchzte sie und drückte seine Hände an ihre Brust.
    Sie fühlte sich so sehr als Sünderin und Verbrecherin, daß ihr nichts blieb, als sich zu demütigen und um
    Verzeihung zu flehen; aber im Leben hatte sie jetzt niemanden außer ihm, so daß sie auch ihre Bitte um Verzeihung
    an ihn richtete. Während sie ihn anblickte, fühlte sie mit körperlichem Schmerze ihre Erniedrigung und war nicht
    imstande, weiterzusprechen. Er aber hatte eine Empfindung, wie sie ein Mörder haben mag, wenn er den Körper
    anblickt, den er des Lebens beraubt hat. Dieser Körper, den er des Lebens beraubt hatte, war seine und Annas Liebe,
    die erste Periode dieser Liebe. Es lag etwas Furchtbares, Abstoßendes in dem Gedanken an das, was mit diesem
    entsetzlichen Preis, der Schande, erkauft war. Anna war wie zermalmt von Scham über ihre seelische Nacktheit, und
    diese Scham teilte sich ihm mit. Aber trotz allem Entsetzen, das den Mörder vor dem Leichnam des Ermordeten
    ergreift, muß er diesen Leichnam in Stücke schneiden und verstecken und muß sich das aneignen und zunutze machen,
    was er durch den Mord erworben hat.
    Mit Ingrimm, mit einer wahren Leidenschaft stürzt sich der Mörder auf den Leichnam, zerrt ihn hin und her und
    zerstückelt ihn; und so bedeckte auch Wronski jetzt Annas Gesicht und Schultern mit Küssen. Sie hielt seine Hand in
    der ihrigen und rührte sich nicht. ›Ja, diese Küsse, die sind nun das, was für diese Schande erkauft ist. Ja, und
    diese Hand, die nun immer mir gehören wird, ist die Hand meines Mitschuldigen.‹ Sie hob diese Hand an ihre Lippen
    und küßte sie. Er ließ sich auf die Knie nieder und wollte ihr Gesicht sehen, aber sie verbarg es und sprach kein
    Wort. Schließlich, wie wenn sie sich mit Gewalt dazu zwänge, richtete sie sich auf und schob ihn zurück. Ihr
    Gesicht war noch ebenso schön wie früher, aber einen um so bejammernswerteren Eindruck machte es.
    »Alles ist aus!« sagte sie. »Ich habe auf der Welt niemand mehr als dich. Vergiß das nicht!«
    »Ich kann das nicht vergessen, was mein ganzes Lebensglück ausmacht. Für einen Augenblick dieses Glückes
    ...«
    »Was ist das für ein Glück!« unterbrach sie ihn voll Ekel und Entsetzen, und dieses Entsetzen teilte sich
    unwillkürlich auch ihm mit. »Um Gottes willen, kein Wort mehr, kein Wort!«
    »Kein Wort mehr!« wiederholte sie, und mit einem Ausdrucke kalter Verzweiflung im Gesicht, der ihm überraschend
    war, schied sie von ihm. Sie war sich bewußt, daß sie dieses Gefühl der Scham, der Freude, der Bangigkeit vor dem
    Eintritt in ein neues Leben in diesem Augenblicke nicht mit Worten auszudrücken imstande war, und mit
    unzutreffenden Worten mochte sie von diesem Gefühl nicht reden, es nicht in entstellter Form wiedergeben. Aber auch
    später, am folgenden und am dritten Tage, fand sie keine Worte, mit denen sie die seltsame Mischung dieser Gefühle
    hätte ausdrücken können, ja sie fand auch nicht einmal die erforderliche Klarheit des Geistes, um bei sich selbst
    alles überdenken zu können, was ihre Seele erfüllte.
    Sie sagte sich: ›Nein, jetzt kann ich nicht darüber nachdenken; später, wenn

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