Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
fort. „Diese Frau wurde schon immer gehasst und gefürchtet. Sie hatte irgendwann gelernt, daraus ihre Kraft zu schöpfen. Etwas anderes hat sie aber auch nie gekannt. Dass das Geben und alles was damit verbunden ist, erfüllend sein kann, war für sie fremd.“ Die junge Frau atmete tief durch und fuhr fort: „Zu dem gab es in der letzten Zeit immer weniger Freude, Wärme und Liebe in der Oberwelt, dagegen aber immer mehr Leid und Unglück. Jedenfalls, dort, auf dem Schafott stehend, habe ich begriffen, was ich ihr entgegenhalten kann. Ich habe aufgehört sie zu hassen. Ich habe ihr verziehen und sie losgelassen, und so die Verbindung zwischen uns, durch die sie mir meine letzte Kraft geraubt hatte, gekappt. Dann habe ich ihr vom ganzen Herzen gedankt. Für alles, was sie getan hat. Sie hat es geschafft, uns etwas Wichtiges vor Augen zu führen, was wir selbst zu sehen nicht mehr imstande waren. Es wurde mir klar, dass etwas Wesentliches uns in der Oberwelt verloren gegangen war. Es war weg und unser Leben geriet langsam aber sicher in Schwierigkeiten.
Diese Frau hat uns eine Chance gegeben, das zu verstehen, auf die Suche zu gehen und es wieder zu finden. Zugegeben, es war eine recht harte Nummer, was sie angestellt hatte, aber es gab auch eine positive Seite an dem Ganzen. Sie hat eine Grundlage geschaffen, auf der wir neu anfangen können. Und ich sehe, es fängt schon sehr gut an.“ Sie blickte lächelnd zu Alphus, der, seinen Arm um die Schulter seiner Frau gelegt, sie sanft zu sich drückte und dabei sehr zufrieden aussah. Das Leuchten in seinen und in ihren Augen war kaum zu übersehen.
„Eine weise Magierin bist du geworden“, sagte Alphira anerkennend. „Keine Spur von einem kleinen, streitsüchtigen Mädchen.“
„Deshalb dankte ich Greda“, fuhr Anna fort. „Sie brachte mich dazu, loszugehen, nach Antworten auf meine Fragen zu suchen, einfach endlich das zu tun, was ich für richtig hielt. Es war auch so langsam bitter nötig. Ich bin neue Wege gegangen und habe gelernt, die Andere Welt mit ganz anderen Augen zu sehen. Und es gab viel zu entdecken: die alten Geheimnisse und gut versteckte magische Orte. Ich habe andere Welten, Wesen und Leute kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte.“
„Und das wäre ausgesprochen schade“, lächelte Ian.
Ihre Wangen färbten sich rot. Sie blickte aber gleich ernst und setzte hinzu: „Ich habe auch etwas über mich verstanden. Ich wäre womöglich nie auf die Idee gekommen, zu meinem Vater zu gehen, mit ihm zu sprechen, seine Meinung zu einer Frage zu hören, die mich schon seit Langem um den Schlaf gebrach hatte. Ich hätte sonst nie mit ihm geredet und mit ihm und meiner Vergangenheit Frieden geschlossen.“ Ihr liefen stille Tränen über die Wangen. Sie wischte sie schnell mit der Faust weg. „Jedenfalls, nachdem ich mich vom alten Ballast befreit hatte, ging es mir wesentlich besser. Und dann kam sie. Die Kraft, von der mein Vater gesprochen hatte. Sie war so überwältigend, so stark, ihr Strahlen so mächtig, dass sie nicht nur das Glas sprengte, sie setzte auch die gute Greda außer Gefecht. Ihre dunkle Kraft war futsch. Sie musste die Reste ihrer geschundenen Stärke nutzen, um sich recht unrühmlich aus der Unterwelt zu stehlen.“ Anna atmete erschöpft aus.
„Von dieser Kraft also sprach die geheimnisvolle Frau“, sagte Ian, Blitz der Erkenntnis leuchtete in seinen Augen auf. „Jetzt verstehe ich es.“
„Welche Frau?“ Sie blickte ihn verdutzt an.
Er zuckte die Schulter. „Sie sah wie du aus. Den Rest erzähle ich dir mal später.“
„Bleibt zu hoffen, dass Greda uns ihre Gesellschaft demnächst gänzlich erspart“, sagte Alphus.
„Das hast du gut gemacht“, lobte Alphira. „Ich bin sehr stolz auf dich.“ Dann schob sie die junge Frau sanft zu Ian. „Nun geht schon. Sie warten auf euch. Das Fest muss eröffnet werden.“
Ian sah der Großmagierin in die Augen. „Danke“, sagte er. „Danke dir für alles.“ Und er neigte den Kopf vor ihr.
Alphira wuschelte ihm seine Locken auf. „Ist gut, geht schon, jetzt seid ihr dran.“
Ian wandte sich zu Anna, seine Augen leuchteten auf. Er streckte offene Hand ihr entgegen und fragte: „Kommst du mit?“
Sie lächelte leicht verlegen, nickte, gab ihm die Hand und sie liefen zum lodernden bläulichen Feuer in die Mitte der Wiese.
Ian stellte sich vor die Gruppe der Drachenleute und wandte sich zu den aufgeregten Oberweltlern: „Verehrtes Publikum, ich bitte um
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