Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
so anfällig für die Machenschaften der Grausamen gemacht hatte. Gewiss wurde das Leben zunehmend schwierig, als die Drachen weg waren, aber das war nicht der eigentliche Grund, weshalb das Gleichgewicht ins Wanken geriet. Das Glück der Oberwelt hatte viel früher angefangen zu bröckeln. Ich fragte mich, was es war, denn ich wollte verstehen, was wir verloren und so den fruchtbaren Boden für die Gier, Egoismus, Machtmissbrauch, Ausbeutung und all solche Sachen geschaffen hatten.“
In den Reihen der Oberweltler herrschte plötzlich Stille.
„Ich möchte, dass diese Kraft, die uns damals verlassen hatte, wieder einen festen Platz bei uns einnimmt. Ohne kann keine Welt glücklich und zufrieden werden. Und das ist es, was ich wollte. Das ist es doch, was ihr auch wollt, eine glückliche und gesunde Oberwelt.“
„Das wäre schön!“, „So wie früher!“, „Das kriegen wir hin!“, „Das geht gar nicht anders!“
„Eine alte Weisheit besagt“, fuhr Anna fort, „es gibt eine enorme Kraft, die in jeder Welt da ist. Ihre Wahrheit ist überall und hat in jedem von uns einen Platz. Sie hat mir geholfen, mich in der letzten Minute aus den Klauen der Grausamen zu befreien. Sie hat ihre ungeheure Macht vernichtet und uns von dieser Frau erlöst.“
„Und was soll das sein?“, fragte die schrille Stimme aus den hinteren Reihen.
„Ich will euch nicht weiter mit Geheimniskrämerei aufhalten und sage, wie es ist. Diese Kraft heißt Liebe. Sie hat viele Facetten und kann auf unterschiedlichen Wegen ergründet werden. Für mich fängt sie mit Respekt an: zu sich selbst, zueinander und zu der Anderen Welt insgesamt. Lasst uns dafür sorgen, dass Liebe unsere Häuser und die schöne Oberwelt nie wieder verlässt. Wenn wir unser Leben von diesem Standpunkt aus begreifen und entsprechend ausrichten, kann uns nichts Ungutes mehr passieren, keine Ausbeuterin kann uns und unseren Kindern das wahre selbst rauben. Wenn wir die Liebe in unsere Leben eintreten lassen, bleibt unsere Welt für immer ein Ort, wo Träume wahr werden. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.“ Die junge Frau verbeugte sich vor den erstaunt blickenden Zuhörern und trat zurück.
Sie applaudierten energisch, ihre Gesichter schienen aber nachdenklich im Licht des bläulichen Feuers.
„Das hast du gut gesagt“, flüsterte Alphira, die hinter ihr stand und nun leicht ihre Hand drückte.
Anna drehte sich um.
Die Großmagierin lächelte ihr aufmunternd zu. „Also du kannst jetzt alles tun, wie du es für richtig hältst. Ich ziehe mich, wie eben angekündigt zurück.“ Sie trat zu ihrem Mann, nahm seine Hand und blickte ihn zärtlich an. „Wir ziehen uns zurück, besser gesagt“, fügte sie leise hinzu. „Wir haben viel nachzuholen.“
„Aber Alphira!“ Anna blickte perplex die beiden an. „Ich kann es mir ohne dich gar nicht vorstellen! Das geht nicht!“
„Wir sind ja nicht aus der Welt“, sagte Alphus und streichelte sacht die Hand seiner Frau. „Wir stehen euch mit Rat und wenn nötig auch mit Tat zur Verfügung. Aber ihr seid jetzt diejenigen, die die Verantwortung für das Aufleben und Fortbestehen der Oberwelt tragen. Ihr habt bewiesen, ihr könnt es. Besser als wir. Ihr seid jung und habt genug Wissen, Kraft und Visionen dazu. Also dann, viel Erfolg! Und lasst uns mit der Feier beginnen.“ Er schnipste mit den Fingern.
Fröhliche Volksmusik, die früher an den Drachenfesten nie gefehlt hatte, füllte die nächtliche Luft. Ein riesiges Fass Met plumpste auf die Wiese unweit von der Feuerstelle. Lange Tische mit Bänken von beiden Seiten stellten sich daneben. Die Tafeln füllten sich reich mit dämpfenden, verführerisch riechenden Speisen.
„Liebe Oberweltler!“ Alphus wandte sich zum Publikum. „Liebe Drachenleute du Gäste“, er drehte sich um und blickte zu der Reihe hinter Ians Rücken. „Ich darf euch herzlich zu dem Abendmahl und der anschließenden Feier einladen. Lasst uns dieses Essen teilen, sowie die Freude an der Tatsache, dass wir alle heute hier sind und es mit der Oberwelt wieder aufwärts geht. Guten Appetit und viel Spaß!“
An den langen Tischen fanden alle Platz. Der Met floss in Strömen. Das köstliche Essen ging nicht aus. Danach sprangen die Oberweltler nach der alten Tradition durch das große Drachenfeuer. Lachen, Fröhlichkeit und Gelassenheit füllten die nächtliche Luft.
Als der runde Mond hoch im Himmel stand, erhoben sich die Drachenleute von den Tafeln und liefen zusammen mit Ian
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