Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
aufgeregte Gespräche zu führen. Ein Gelächter hier, Freudenaufschreie dort füllten die klare Luft. Oben rissen sich die grauen Wolken auf und ein Stück vom tiefblauen Himmel zeigte sich in dem breiten Spalt.
Der dunkelblaue Drache war weg. Anna sah zu Ian rüber, runzelte die Stirn und sagte: „Die Oberwelt muss auch etwas vom Drachenfeuer abbekommen. Sie hat schon so lange darauf gewartet.“
„Das machen wir“, versprach er. „Ich muss bloß nur noch schnell eine Sache erledigen.“
„Jetzt willst du wieder los, oder wie sehe ich das?“ Sie zog eine Braue hoch.
„Wenn du willst, bringe ich dich eben schnell nach Hause, dann muss ich aber…“
„Das kann ich auch selbst. Ich bin ja kein Paket, das man hin und her transportiert.“ Sie wandte sich rasch von ihm ab. „Geh nur, tue, was zu tun ist“, warf sie über die Schulter.
„Ich bin schnell wieder zurück. Wir sehen uns dann in der Oberwelt, auf der großen Wiese!“ Kaum klangen seine Worte ab, war er weg.
Anna sah, wie er im Boden versank: Sein Schopf schimmerte kurz durch und dann war er ganz weg. Ihr wurde schwindelig. Er will doch nicht etwa zurück in das Labyrinth?
Aber es war nichts mehr zu ändern. Ian war fort. Sie wandte sich zu den Leuten auf dem Platz und rief: „Ich bitte kurz um eure Aufmerksamkeit!“
Sie hörten auf zu reden und sahen sie verwundert an.
„Wer will in die Oberwelt zurück, einen Schritt vor! Ich fliege gleich dorthin, ich kann euch mitnehmen, wenn ihr wollt.“
„Das ist doch die Anna, die Novizin von Alphira!“, rief die schrille Stimme. Aufgeregtes Murmeln lief durch die Reihen.
„Ja, ich bin die Anna. Und ich kann euch alle mitnehmen. Ich will zurück in die Oberwelt. Wer mitkommen möchte, muss sich jetzt entscheiden.“
Alle machten einen Schritt nach vorne.
„Gut. Ich hoffe, meine Kraft reicht für euch alle“, rief sie und blickte verlegen. „Aber nach der gehörigen Portion Drachenfeuer sieht es ganz gut aus“, fügte sie lächelnd hinzu.
Die bekannte Stimme meldete sich wieder: „Das wirst du schon schaffen! Du bist ja eine starke Magierin!“
„Danke!“, sagte Anna, ihr wurde plötzlich warm ums Herz. „Ich gebe mein Bestes!“ Sie streckte ihre beiden Hände aus, schloss die Augen und hielt inne. Aus jedem ihrer Finger kamen dicke, leuchtende Strahlen.
Das Licht erfasste die Anwesenden, umhüllte mit seiner warmen Helligkeit, die schnell dicht und tragfähig wurde, hob sie behutsam über den Pflastersteinen und nahm auf eine Reise zwischen den Welten. Es war wie ein erholsamer Schlaf, in dem sie aus ihrer düsteren Vergangenheit in die neue Zukunft reisten. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten und um sich herum blickten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, dass sie alle auf der Großen Wiese standen, auf dem Platz, wo früher die Drachenfeste gefeiert worden waren.
Kapitel 48. Das Fest.
Der Boden war noch recht feucht. Annas Füße wurden nach einigen Minuten nass. Vom Sumpf aber, der auf dieser Stelle lange Zeit vor sich hin geblubbert hatte, war nichts mehr zu sehen. Die Luft war frisch und rein.
Die Dämmerung setze ein. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit konnten die Oberweltler die Sterne und den aufgehenden Vollmond im klaren, dunkelblauen Sternenhimmel sehen. In der Mitte der Wiese zeichnete sich ein mit Ästen abgesteckter Kreis ab: die Stelle, wo früher während der Zeremonien das große blaue Feuer gelodert hatte.
„Wie damals, in den guten alten Zeiten“, flüsterte Anna leise vor sich und lächelte zufrieden.
„An damals brauchen wir nicht mehr so sehnsüchtig zu denken. Die guten Zeiten fangen jetzt erst an“, sagte eine ältere Männerstimme, die ihr entfernt bekannt vorkam, hinter ihrem Rücken. Sie drehte sich rasch um.
Ein älterer Herr im langen, weißen Gewand der Großmagier, groß und hager, das halbe Gesicht unter einem weißen langen Bart, sah sie verschmitzt an.
„Ernst?“, fragte die junge Frau. „Sie sind doch Ernst, oder?“
„Ja und nein.“ Zum fröhlichen Leuchten in seinen hellblauen Augen mischte sich ein Hauch Verlegenheit. „Aber das kann warten. Erst musst du jemanden grüßen“, sagte er und trat beiseite.
Hinter ihm stand Alphira und lächelte verlegen.
„Oma!“, schrie Anna auf und warf sich ihr um den Hals. „Du bist wieder da!“ Sie drückte die fragile Frau fest an sich.
„Sachte, sachte, nicht so stürmisch meine Liebe“, keuchte sie. „Du zerquetschst mich doch
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