Annas Erbe
Thann verlor das Bewusstsein.
Sein Kopf dröhnte. Bronzeglocken. Der gleiche Klang wie am Morgen. Thann schlug die Augen auf. Ihm war übel.
Es war der gleiche Raum, nur aus anderer Perspektive. Thann lag auf dem Fußboden, seine Hände waren an den Heizkörper gefesselt. Die beiden Leichen waren immer noch da. Vor Thanns Augen stand in edlen, polierten Schuhen eine perfekt gebügelte Wollhose, die nur wenig Blut abbekommen hatte. Bollmann starrte auf ihn herab.
»Stunde der Wahrheit, Junior. Erzähl mir, was du weißt!«
»Stadt, Land oder Fluss?« Das Sprechen bereitete ihm große Mühe.
»Du spielst mit deinem Leben. Ist dir das klar?«
Thanns Kopf fühlte sich an wie eine einzige Beule. Das Kinn war taub. Die Beine drohten einzuschlafen. Sein Mageninhalt drängte nach oben.
»Wo ist das verdammte Album?«
Ein Beweisstück für meine Rehabilitierung. Zumindest das Denken funktionierte noch. Thann bewegte sich ein wenig. In seinem Kinn spürte er ein Kribbeln. Die Zunge tastete nach den Zähnen, sie schienen noch da zu sein.
Bollmann beugte sich zu ihm hinunter. »Spuck's aus, verdammt noch mal.«
Das blonde Bullengesicht war so nah, dass er Bollmanns Atem roch. Er sammelte Spucke in seinem Mund. Sein Gegner drohte ihm mit der rechten Faust, zwei Zentimeter vor Thanns Nase. Auf der Oberfläche des dicken Siegelring spiegelten sich die Neonröhren. Mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand spielte Bollmann an dem Ring, dann drückte er zu.
Schnapp.
Zwei Klingen stachen hervor, ausgelöst von einem verborgenen Mechanismus. Zwei Klingen, blitzend, scharf und ganz nah.
Eichs toter Kopf. Sechs Schnitte auf der einen Seite, zwei auf der anderen. Rosenbaums Vortrag. Das Opfer wurde offenbar gefoltert, bevor es starb. Das Foto von Annas Leiche. Die gleichen Schnitte. Ein ganz besonderer Schlagring. Thann starrte auf die beiden Klingen.
Bollmann grinste. Seine Augen blitzten. Er fuchtelte mit seiner Faust hin und her.
»Wo hast du das Album deines Bruders versteckt?«
Das dämliche Album macht dem Chef Sorgen. Thanns Herz klopfte wie noch nie. Sein Kopf dröhnte. Alles andere kribbelte und zitterte.
Plötzlich stieß Bollmann die Faust in Thanns Gesicht. Seine Wange brannte, als hätte man Säure darauf gegossen.
»Wenn Sie mich töten, sind Sie dran, Bollmann.« Seine Stimme klang verändert. Ihm war, als schmeckte er Blut.
»Stunde der Wahrheit, Junior. Drohen kannst du mir nicht.«
Gefoltert, bevor er starb.
»Ich habe eine Person meines Vertrauens eingeweiht. Wenn mir etwas zustößt, werden sofort Anwälte und Presse informiert. Dann sind Sie dran. Lassen Sie mich sofort frei!«
Bollmann lachte. »Eva, das Flittchen. Deine Schwester ist so gut wie tot, Junior. Du weißt doch, dass es deine Schwester ist, mit der du geschlafen hast, du Hurensohn!«
Thann sah Blut auf seine Jacke tropfen. Das Brennen war stärker als alle anderen Schmerzen. Die Faust Bollmanns war wieder ganz nah. An den Klingen waren Blut und Hautfetzen.
»Jetzt rede, oder du überlebst die nächsten fünf Minuten nicht.«
»Schlagen Sie ein Thema vor, Herr Polizeipräsident.«
Bollmann trat zu. Einer der schwarz glänzenden Schuhe traf Thann mit Wucht, knapp unter den Rippen. Ihm blieb die Luft weg. Er krümmte sich. Angst. Milzruptur, freie Flüssigkeit in der Milzloge, Not-OP. Es dauerte eine Weile, bis Thann wieder normal atmen konnte. Bollmann betrachtete die Wirkung seines Tritts.
Plötzlich sah Thann eine Bewegung hinter dem Rücken des Polizeipräsidenten. Eine Bewegung, die er nicht begriff, denn außer ihm und Bollmann gab es hier nur Leichen.
»Du wirst reden, Junior. Früher oder später redet jeder. Fragt sich nur, wie viel Schmerzen vorher nötig sind. Spiel nicht den Harten, Junior. Du bist schwach und einsam. Nur mit meiner Hilfe kann aus dir etwas werden. Das ist ein Angebot. Also, wo ist das Familienalbum deines Bruders?«
»Machen Sie mich los, dann sage ich alles. Ich will erst Ihre Garantie, dass Sie mir nichts tun.«
»Ich gebe dir die Garantie, dass mein scharfer Freund auch deine andere Wange küsst, wenn du nicht sofort redest.« Der blonde Bulle fuchtelte wieder mit seiner klingenbewehrten Faust.
Irgendetwas regte sich hinter Bollmann. Thann sah nicht hin, um seinen Gegner nicht darauf aufmerksam zu machen.
»Na gut, Chef. Das Album ist in einem Safe. Wir haben Fotos von den Zeichnungen gemacht. Die Filme lagern in einem anderen Safe. Und ein Anwalt hat in einem dritten Safe einen Umschlag
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