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Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Titel: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Boo
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planiert. Die Slumbewohner trösteten sich gegenseitig. »Bei uns sind sie noch nicht, nur ganz am Rand.« Die Flughafenslums sollten in mehreren Phasen innerhalb der nächsten Jahre dem Erdboden gleichgemacht werden, den Einwohnern blieb also noch eine Menge Zeit, um sich zusammenzuschließen und dafür zu sorgen, dass die Geschäftsleute und Politiker, die Hütten aufgekauft hatten, nicht als Einzige von der versprochenen Umsiedlung profitierten.
    So lange hatten die Kinder dank der Planierungsarbeiten im annawadischen Grenzgebiet etwas zu tun. Sie tummelten sich am einstigen Klärteich und sahen hingerissen zu, wie die hellgelben Bagger den neuen Boden durchpflügten. Die schweren Schaufeln förderten lauter recycelbare Relikte einer früheren Stadt zutage: einen Oxford-Schnürschuh aus ehemals weißem Wildleder, verrostete Schrauben und allerlei sonstige Plastik- und Metallreste. Lauter gut verkäufliche Ware.
    Eines Samstagnachmittags gesellten sich die kleinen Husain-Kinder zusammen mit Fatimas Töchtern zu den anderen Goldgräbern am Rand der Szenerie. Sie ließen die Schaufeln nicht aus den Augen, während sie erörterten, was wohl auf dem neugewonnenen Land gebaut werden würde.
    »Eine Schule«, sagte jemand.
    »Nein, da soll ’n Krankenhaus hin, hab ich gehört.«
    »So eins, wo Babys geboren werden.«
    »Quatsch, Blödmann. Die bauen da was für den Flughafen, ’n Taxistand. Und Flugzeuge sollen da auch hin.«
    »Das ist doch viel zu klein für Flugzeuge. Die bauen da bloß ’n Platz, wo wir Kricket spielen können.«
    Die kleinere von Fatimas Töchtern wurde plötzlich hektisch. Am Rand einer neuen Baggerfurche lag etwas Glänzendes. Sie sprang los und flitzte unter der runtersausenden Schaufel eines Baggers durch.
    »Nicht!«, schrie eine Frau auf, die gerade vorbeikam. Aber Heena bückte sich, zerrte an etwas, schoss immer gerade noch rechtzeitig zurück, um nicht unter den Bagger zu geraten, ging danach sofort wieder in die Hocke und buddelte weiter. Da lag wirklich etwas richtig Tolles – ein schwerer Edelstahlkochtopf! Sie schnappte ihn, rannte strahlend und so schnell damit zurück nach Annawadi, dass ihre nackten Füße Dreckwolken aufwirbelten.
    Der alte Topf war mindestens fünfzehn Rupien wert, und zwei Frauen auf dem Maidan fingen an zu lachen, als sie ihn sahen. Wenigstens
ein
Mensch in Annawadi hatte auch mal was von Fortschritt und Modernisierung. Heena hielt ihren Schatz ganz hoch, damit alle anderen neidischen Kinder ihn sehen konnten.
     
    Ein paar Wochen später entdeckten die Kinder einen noch aufregenderen Zeitvertreib: Journalisten, die Kameras mit langen schwarzen Schnauzen trugen. Annawadi hatte plötzlich Nachrichtenwert.
    Anlass war ursprünglich nur die fröhliche, aber illegale Tradition, an Junisonntagen nachmittags auf dem gleißenden Western Express Highway Trabrennen zu veranstalten. Die Wetteinsätze waren klein, und die Zuschauer standen in dichten Reihen den Highway entlang.
    Der abgesetzte Slumlord Robert der Zebramann hatte zwei von seinen Pferden ins Rennen geschickt, mitsamt einem frisch rot und blau gestrichenen, aber ziemlich reparaturbedürftigen Sulky. Als das schmucke Gefährt es gegen Ende des Rennens endlich ganz nach oben auf eine Überführung geschafft hatte, rollte eins der Räder davon. Der Sulky kippte, das Geschirr ging zu Bruch, die panischen Pferde stürzten über das Geländer. Ein Zeitungsfotograf war zufällig zur Stelle und drückte ab, als sie auf grausame Art und Weise unten auf der Straße aufschlugen. So begann eine regelrechte Jagd, um den verantwortungslosen Pferdebesitzer ausfindig zu machen und seiner Strafe zuzuführen – denn Robert hatte sich unter Hinterlassung einer falschen Adresse eilends verdrückt.
    Die öffentliche Empörung schwoll an, die Schlagzeilen auch: »Der Turf der toten Gäule. Unsere Reporter ermitteln« – »Tod zweier Pferde: Polizei Minuten später vor Ort. Noch immer keine Anklage!« – »Exklusiv! Wo die beiden Pferde lebten, bevor sie grauenvoll in den Tod stürzten.«
    Eines Tages beobachteten Sunil, Mirchi und andere Kinder ein paar Tierschützer von der Plant & Animals Welfare Society PAWS , die gemeinsam mit Medienleuten und Vertretern der Mumbaier Tierschutz-Liga eine »Razzia« in Roberts Stall machten. Etliche Pferde wurden für mangelernährt befunden. An den gefärbten Zebras wurden Schnitte und wundgerittene Stellen entdeckt. Die bedürftigsten Tiere wurden auf Druck der Tierschutz-Liga

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