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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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würde wahrscheinlich die Medaille gewinnen und Emily Clay das Avery-Stipendium.«
    »Darüber zerbreche ich mir erst morgen wieder den Kopf, Josie«, lachte Anne, die während des Gesprächs verträumt aus dem Fenster geschaut und die dicken Knospen an dem Kastanienbaum vor dem Fenster betrachtet hatte. »Im Moment habe ich das Gefühl, solange die Veilchen in der Senke unterhalb von Green Gables blühen und die kleinen Farnwedel in der >Liebeslaube< ihre Köpfe aus dem Gras stecken, ist es mir ganz egal, ob ich das Avery-Stipendium gewinne oder nicht. Lasst uns doch von etwas anderem sprechen! Seht euch den Himmel über den Häusern an und stellt euch vor, wie er sich wie eine blaue Glocke über den Buchenwäldern von Avonlea wölbt.«
    »Was wollt ihr auf der Abschlussfeier tragen?«, lenkte Ruby das Gespräch wieder in weniger poetische Bahnen zurück.
    Jane und Josie antworteten gleichzeitig, und es entspann sich ein munteres Gespräch über die verschiedenen Fragen der neuesten Mode. Anne beteiligte sich nicht an dem Geplauder der Mädchen. Beide Ellenbogen auf den Fenstersims gestützt, sah sie zum Fenster hinaus und hing ihren Zukunftsträumen nach. Das Leben lag vor ihr ausgebreitet wie ein verheißungsvoller, bunter Teppich, dessen Muster entworfen, aber noch längst nicht festgelegt war.

32 - Wieder zu Hause
    An dem Morgen, an dem die Ergebnisse der Abschlussprüfung am großen Bekanntmachungsbrett vom Queen’s College ausgehängt werden sollten, gingen Jane und Anne gemeinsam die Straße hinunter. Jane lächelte glücklich: Die Prüfungen waren vorüber und sie war sich ziemlich sicher, dass sie sie bestanden hatte. Alles weitere interessierte sie nicht. Sie war nicht besonders ehrgeizig; mit einem durchschnittlichen Ergebnis wäre sie vollauf zufrieden. Anne dagegen wirkte blass und still. Innerhalb der nächsten zehn Minuten würde sie erfahren, wer die Medaille und wer das Avery-Stipendium gewonnen hatte - über diese zehn Minuten hinaus mochte sie gar nicht denken.
    »Eine der beiden Auszeichnungen geht bestimmt an dich«, tröstete Jane ihre Freundin. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass der Prüfungsausschuss eine andere Entscheidung treffen könnte. »Ich mache mir keine Hoffnungen auf das Stipendium mehr«, meinte Anne resigniert. »Alle sagen, Emily Clay würde es gewinnen. Nein, ich werde nicht zum Anschlagbrett gehen und vor allen anderen dumm dastehen. Bitte, lies du das Ergebnis und komm dann zu mir. Aber ich flehe dich im Namen unserer alten Freundschaft an, dich um Himmels willen zu beeilen. Wenn ich durchgefallen bin, dann sag es mir gleich, ohne drum herumzureden und es mir schonend beibringen zu wollen. Und was immer auch passiert: Hab kein Mitleid mit mir. Willst du mir das versprechen, Jane?«
    Jane gelobte es feierlich - was allerdings gar nicht nötig gewesen wäre, wie sich bald herausstellte. Als die beiden nämlich die breiten Stufen zum Queen’s College hinaufliefen, kamen ihnen die Jungen ihres Jahrgangs schon jubelnd entgegen. Auf ihren Schultern trugen sie Gilbert Blythe. »Hoch, Gilbert Blythe, der Gewinner der Goldmedaille!«
    Dieser Anblick versetzte Anne einen kurzen, heftigen Stich der Enttäuschung. Gilbert hatte sie geschlagen! Was würde Matthew dazu sagen? Er war sich so sicher gewesen, dass seine Anne als Beste abschneiden würde.
    Plötzlich rief jemand laut: »Ein dreifaches Hoch auf Anne Shirley, die Gewinnerin des Avery-Stipendiums!«
    »Oh, Anne«, flüsterte Jane, »ich bin ja so stolz auf dich! Ist das nicht wunderbar?«
    Anne wurde umringt und mit Glückwünschen nur so überschüttet. Alle wollten ihr auf die Schulter klopfen und ihr die Hand schütteln. >Wie werden sich Matthew und Marilla freuen!<, dachte sie im Stillen. >Ich muss es ihnen gleich heute noch schreiben.<
    Eine Woche später fand die Abschlussfeier in der großen Halle des Colleges statt. Es wurden verschiedene Ansprachen gehalten, Aufsätze verlesen und Lieder gesungen. Anschließend gab es eine öffentliche Verleihung der Zeugnisse, Preise und Medaillen.
    Matthew und Marilla waren eigens zur Feier in die Stadt gekommen. Dabei interessierten sie die Darbietungen auf der Bühne gar nicht besonders. Sie hatten nur für Anne Augen und Ohren und lauschten wie gebannt, als sie den besten Aufsatz vorlas und man sich im Publikum zuflüsterte, dies sei die Gewinnerin des Avery-Stipendiums.
    »Jetzt bist du doch auch froh, dass wir sie damals behalten haben, nicht wahr, Marilla?«,

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