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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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nichts ahnte. In seinem Verhalten war nichts Triumphierendes, nichts von dem Auftrumpfen des Mitleids. Er hatte vermutlich nie davon gehört, daß Charles Hayter ältere Rechte besaß, er kam gar nicht auf die Idee. Seine einzige Schuld lag darin, es zuzulassen (denn nichts anderes als ein Zulassen war es), daß zwei junge Frauen gleichzeitig um ihn buhlten.
    Nach kurzem Kampf schien Charles Hayter jedoch das Feld zu räumen. Drei Tage waren verstrichen, ohne daß ersich in Uppercross hätte blicken lassen; ein ganz entschiedener Wandel. Er hatte sogar eine förmliche Einladung zum Essen ausgeschlagen; und nachdem Mr. Musgrove ihn bei der Gelegenheit hinter ein paar dicken Büchern verschanzt angetroffen hatte, waren er und Mrs. Musgrove sich sicher, daß etwas nicht stimmte, und sprachen mit bekümmerten Mienen davon, daß er sich noch zu Tode studieren würde. Es war Marys Hoffnung und Überzeugung, daß Henrietta ihm eine herbe Abfuhr erteilt hatte, ihr Mann dagegen verlieh jeden Tag neu der Zuversicht Ausdruck, daß er sich am nächsten zeigen werde. Anne konnte nur finden, daß Charles Hayter klug handelte.
    Eines Morgens etwa um diese Zeit – Charles Musgrove und Captain Wentworth waren zusammen jagen gegangen – saßen die Schwestern im kleinen Haus friedlich über ihrer Handarbeit, als die Schwestern aus dem großen Haus zu ihnen ans Fenster kamen.
    Es war ein sehr schöner Novembertag, und die Miss Musgroves kamen einzig und allein deshalb durch den kleinen Garten und zum Fenster gelaufen, um zu verkünden, daß sie zu einem
langen
Spaziergang aufbrächen, auf den Mary sie sicherlich
nicht
zu begleiten wünsche; und als Mary, entrüstet über die Vorstellung, jemand könnte an ihrer Sportlichkeit zweifeln, prompt erwiderte: »O doch, ich komme sehr gern mit, ich liebe lange Spaziergänge über alles«, sah Anne den beiden Mädchen am Gesicht an, daß sie genau das zu verhindern gehofft hatten, und staunte einmal mehr über diesen sonderbaren Zwang in der Familie, alles mitzuteilen und alles gemeinsam zu machen, ganz gleich, wie unerwünscht oder ungelegen es kam. Sie versuchte Mary vom Mitkommen abzuhalten, aber vergebens – worauf sie es für das beste hielt, der weitaus herzlicheren Einladung der Miss Musgroves an sie selbst zu folgen und auch mitzugehen, um gegebenenfalls früher mit ihrer Schwester umkehren zu können, damit die Pläne der zwei nicht noch mehr gestört würden.
    »Wie kommen sie bloß auf die Idee, daß ich keine langen Spaziergänge mag!« sagte Mary, als sie die Treppe hinaufstieg. »Immer denken alle, ich wäre nicht gut zu Fuß! Aber wenn wir ihnen einen Korb gegeben hätten, wäre ihnen das auch wieder nicht recht gewesen. Wenn jemand eigens herkommt, um einen zu fragen, wie kann man da nein sagen?«
    Als sie gerade losgehen wollten, kamen ihnen die Herren entgegen. Sie hatten einen jungen Hund dabeigehabt, der ihnen die Jagd verdorben und sie vorzeitig zur Heimkehr gezwungen hatte. So hatten sie Zeit und Kräfte im Übermaß, sie waren genau in der rechten Stimmung für einen Marsch und schlossen sich ihnen freudig an. Hätte Anne diese Entwicklung vorhersehen können, wäre sie zu Hause geblieben; doch aus einer Regung von Interesse und Neugier heraus sagte sie sich nun, daß es für einen Rückzieher zu spät sei, und so machten sie sich zu sechst in die Richtung auf, die die Miss Musgroves bestimmten, denn die beiden betrachteten sich offenbar als die Anführerinnen der Unternehmung.
    Anne wollte möglichst niemandem im Weg sein, und wo immer die Feldwege so schmal wurden, daß die Gesellschaft sich aufspalten mußte, hielt sie sich an Schwager und Schwester.
Ihr
Vergnügen an dem Spaziergang mußte sie aus der Freude an der Bewegung und aus dem Wetter schöpfen, aus dem Blick über rostgelbes Laub und verdorrte Hecken, die das Jahr mit einem letzten Lächeln bedachte, und aus den Zitaten, die sie sich vorsagte, einigen wenigen aus der Fülle von poetischen Beschreibungen des Herbstes, dieser Jahreszeit, die einen so eigenen, unerschöpflichen Einfluß auf jeden Geist von Geschmack und Gefühl ausübt, dieser Jahreszeit, die wohl jedem Dichter, der den Namen verdient, wenigstens den Versuch einer Schilderung oder ein paar tiefempfundene Zeilen entlockt hat. Sie lenkte sich mit derlei Reflexionen und Zitaten ab, wo es nur ging; aber wenn sie in Hörweite von Captain Wentworths Unterhaltung mit einer der Miss Musgroves war, konnte sie doch nicht umhin, dieOhren zu spitzen –

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