Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

auch wenn sie wenig Bemerkenswertes hörte. Es war einfach das angeregte Geplauder junger Menschen, die auf vertrautem Fuß miteinander stehen, nichts weiter. Er gab sich mehr mit Louisa als mit Henrietta ab. Louisa drängte sich auch deutlich mehr nach seiner Aufmerksamkeit als ihre Schwester. Diese Diskrepanz nahm eher noch zu, und eine Äußerung Louisas prägte sich Anne tief ein. Auf einen der zahlreichen Entzückensrufe hin, zu denen der schöne Tag reihum trieb, bemerkte Captain Wentworth:
    »Was für ein Prachtwetter für den Admiral und meine Schwester! Sie hatten eine große Ausfahrt vor. Vielleicht können wir ihnen von einem der Hügel hier zuwinken; sie wollten in unsere Richtung fahren. Wo sie heute wohl umstürzen werden? O doch, das passiert ihnen ständig, glauben Sie es mir nur – aber meiner Schwester macht es nichts aus – sie läßt sich ebenso gern herauskippen, wie sie drin sitzen bleibt.«
    »Ach! Sie übertreiben schamlos, das weiß ich«, rief Louisa, »aber wenn es wirklich so wäre, dann würde ich es an ihrer Stelle ganz genauso machen. Wenn ich einen Mann so lieben würde wie sie den Admiral, würde ich immerzu bei ihm sein wollen, nichts sollte uns je trennen, und ich würde lieber mit ihm umkippen, als mich von einem anderen sicher fahren lassen.«
    Sie sagte es mit Passion.
    »In der Tat?« rief er im gleichen Tonfall. »Das ehrt Sie!« Und beide verfielen für ein Weilchen in Schweigen.
    Anne konnte nicht sofort wieder in ein Gedicht zurückfinden. Die lieblichen Herbststimmungen traten vorerst in den Hintergrund – höchstens, daß ihr ein zartes Sonett im Gedächtnis aufblitzte, befrachtet mit der probaten Analogie zwischen dem Welken des Jahres und dem Welken des Glücks, und dazu Bildern von Jugend, Hoffnung und Frühling, alle für immer dahin. Als sie erneut zum Abbiegen kommandiert wurden, raffte sie sich zu der Frage auf: »Gehtes hier nicht nach Winthrop?« Aber niemand hörte sie, oder zumindest antwortete ihr niemand.
    Doch Winthrop – oder die Umgebung von Winthrop, denn junge Männer sind zuweilen auch ein Stück von ihrem Haus entfernt anzutreffen – war ihr Ziel; und nach nochmals einer halben Meile Wegs durch sacht ansteigende heckenumfriedete Felder, wo geschäftige Pflüge und frische Ackerfurchen den Beweis führten, daß die Süße poetischer Resignation nicht alles war und es Leute gab, die aufs Frühjahr setzten, erreichten sie den Gipfel der stattlichsten Erhebung, welche Uppercross und Winthrop voneinander trennte, und hatten bald einen freien Blick auf letzteres, in der Senke auf der anderen Seite.
    Winthrop lag vor ihnen, ohne Anmut und ohne Würde: ein unscheinbares Wohnhaus, geduckt inmitten von Wirtschaftsgebäuden und Ställen.
    Mary rief: »Du lieber Himmel! Das ist ja Winthrop – ich hatte keine Ahnung! – also, langsam sollten wir wirklich umkehren, ich bin zum Umfallen müde.«
    Henrietta, befangen und verschämt, zumal kein Vetter Charles irgendeinen der Wege entlangkam oder an irgendeinem der Gatter lehnte, war drauf und dran, sich Mary zu fügen, jedoch – »Nein«, sagte Charles Musgrove, und »Nein, nein!« rief Louisa stürmisch, und indem sie ihre Schwester beiseite zog, schien sie der Sache mit Nachdruck das Wort zu reden.
    Charles erklärte derweil in aller Entschlossenheit, seiner Tante einen Besuch machen zu wollen, wenn er schon so nahe war, und ganz unverkennbar versuchte er auch seine Frau dazu zu bewegen, zweiteres jedoch schon zaghafter. Aber dies war einer der Fälle, in denen er bei der Dame auf Granit biß, und als er gar ins Feld führte, ein Viertelstündchen Ruhe in Winthrop würde ihr guttun, so erschöpft, wie sie sei, antwortete sie resolut, nein, auf gar keinen Fall – den Berg wieder hinaufsteigen zu müssen werde ihr mehr schaden,als die Rast ihr nutzen könne – und, kurzum, ihr Blick und ihr Gebaren stellten ohne jeden Zweifel klar, daß nichts auf der Welt sie dazu bringen konnte.
    In diesem Stil ging es noch etwas hin und her, dann freilich kamen Charles und seine Schwestern überein, daß er mit Henrietta nur rasch einen Abstecher hinunter zu den Verwandten machen würde, während der Rest der Gruppe auf dem Hügel auf sie wartete. Louisa schien es zu sein, die maßgeblich hinter dem Plan steckte, und als sie die beiden anderen ein Stück den Hügel hinabbegleitete, immer noch auf Henrietta einredend, nutzte Mary die Gelegenheit, um sich verächtlich umzusehen und zu Captain Wentworth zu sagen:
    »Es ist