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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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darauf bedacht, Sir Walters Gefühle zu schonen, so besorgt um den Ruf seines Geschlechts, so hochfliegend in ihrer Anschauung davon, was der Familie zustand, wie eine vernünftige, ehrenwerte Person es nur sein kann. Sie war wohlmeinend, mildtätig und herzensgut, dazu starker Zuneigung fähig; äußerst korrekt in ihrem Benehmen, unbestechlich in ihrem Anstandsempfinden und rundum ein Muster feiner Lebensart. Auch gebildet war sie, und gemeinhin vernünftig und konsequent – aber sie hatte eine Schwäche für alles Aristokratische, einen Respekt vor Rängen und Titeln, der ihren Blick für die Fehler derer, die sich mit ihnen schmücken durften, ein klein wenigtrübte. Als Witwe eines bloßen Ritters beeindruckte die Baronetswürde sie nachhaltig; und nach ihrer Auffassung hatte Sir Walter, unabhängig von seinen Ansprüchen als langjähriger Bekannter, zuvorkommender Nachbar, gefälliger Pachtherr, Ehemann ihrer lieben Freundin sowie Vater von Anne und ihren Schwestern, allein schon als Sir Walter in seiner gegenwärtigen Bedrängnis jedes Anrecht auf Mitgefühl und Rücksichtnahme.
    Sie mußten sich einschränken, soviel stand außer Zweifel. Aber ihr lag viel daran, daß dies mit einem Mindestmaß an Unannehmlichkeiten für ihn und Elizabeth bewerkstelligt würde. Sie arbeitete Sparpläne aus, sie führte exakte Berechnungen durch, und sie tat etwas, was keinem vor ihr in den Sinn gekommen war: sie fragte Anne um Rat, von der außer ihr niemand anzunehmen schien, sie könnte ein Interesse an der Sache haben. In Beratung mit Anne, und bis zu einem gewissen Grade auch von ihr beeinflußt, entstand somit das Konzept für die Einsparungen, das schließlich Sir Walter vorgelegt wurde. Annes Korrekturen gingen durchweg zugunsten der Ehrlichkeit und zu Lasten der Geltungssucht. Sie wollte einschneidendere Maßnahmen, einen vollständigeren Neubeginn, eine zügigere Tilgung der Schulden, eine ungleich radikalere Absage an alles, was nicht Recht und Gerechtigkeit diente.
    »Wenn wir deinen Vater zu alledem überreden können«, meinte Lady Russell, während sie ihre Aufzeichnungen durchsah, »wäre viel erreicht. Wenn er diesem Reglement zustimmt, ist er in sieben Jahren schuldenfrei; und ich hoffe sehr, er und Elizabeth werden einsehen, daß solche Einschränkungen der wahren Würde von Kellynch Hall nichts anhaben können und daß es den Wert eines Sir Walter Elliot in den Augen vernünftiger Leute in keiner Weise mindert, wenn er nun als ein Mann von Prinzipien handelt. Was tut er denn schon? Nur das, was etliche unserer vornehmsten Familien getan haben – oder tun sollten! – Er steht nicht allein mitseinem Fall; und daran leiden wir schließlich am meisten, ganz gleich in welcher Lebenslage: an dem Gefühl, allein zu stehen. Ich bin sehr zuversichtlich, was unseren Erfolg angeht. Wir müssen allen Ernst und alle Entschlossenheit daransetzen – denn wer Schulden hat, der muß seine Schulden begleichen; und so sehr man auch auf die Gefühle eines Gentlemans und Familienoberhauptes, wie dein Vater es ist, Rücksicht nehmen muß, zuvörderst kommt der Leumund des aufrechten Mannes.«
    Das war der Geist, in dem Anne ihren Vater handeln und in dem sie ihn durch seine Freunde bestärkt sehen wollte. Für sie war es oberstes Gebot, die Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen, so rasch, wie die umfassendste Einschränkung es nur zuließ; und alles, was in irgendeiner Weise dahinter zurückblieb, erschien ihr zutiefst unwürdig. Es mußte Verordnung sein und zugleich gefühlte Pflicht. Von Lady Russells Einfluß versprach sie sich viel, und was die strenge Selbstzucht anging, auf die ihr Gewissen pochte, so hielt sie es kaum für schwieriger, ihren Vater und Elizabeth zu einer vollständigen als zu einer halben Umkehr zu überreden. So gut, wie sie die beiden kannte, neigte sie zu der Vermutung, daß der Verzicht auf
ein
Pferdegespann sie fast ebenso schmerzlich treffen würde wie der auf alle zwei – und so fort, die ganze Liste von Lady Russells zu milden Maßnahmen durch.
    Wie Annes rigorosere Forderungen aufgenommen worden wären, ist freilich unerheblich. Die von Lady Russell jedenfalls waren ein völliger Fehlschlag – eine Zumutung – nicht zu ertragen. Was! Jede winzigste Annehmlichkeit gestrichen! Reisen, London, Diener, Pferde, Tischgesellschaften – Entbehrungen und Beschränkungen überall! Nicht einmal mehr mit dem Komfort eines einfachen Gentlemans leben zu dürfen! Nein, lieber würde er Kellynch Hall

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