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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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und Mrs. Harville vor deren Tür; und begleitet von Captain Benwick, der sich nicht von ihnen losreißen zu können schien, machten sie sich auf, um dem Cobb noch einmal die Reverenz zu erweisen.
    An Annes Seite fand sich erneut Captain Benwick ein. Lord Byrons »tiefblaue See« durfte nicht unzitiert bleiben bei der Aussicht, die sich ihnen bot, und Anne schenkte ihm, solange es in ihrer Macht stand, bereitwillig ihre Aufmerksamkeit. Schon bald freilich wurde diese gewaltsam von ihm weggelenkt.
    Der Wind wehte so stark, daß es oben auf dem neugebauten Stück Mole zu ungemütlich für die Damen war, darum kam man überein, die gemauerte Treppe zum unteren Teil hinunterzusteigen, und alle waren es zufrieden, ruhig und vorsichtig die steilen Stufen hinabzuklettern, alle außer Louisa: sie mußte springen und sich von Captain Wentworth auffangen lassen. Bei ihren sämtlichen Spaziergängen war sie von den Zauntritten in seine Arme gesprungen; es war ein so himmlisches Gefühl! Der harte Stein, auf dem ihre Füße aufkommen würden, minderte in diesem Fall seine Bereitschaft; er tat ihr jedoch den Gefallen; sie landete sicher und rannte sogleich wieder hinauf, um ihren Spaß an der Sache zu beweisen. Er redete dagegen, ihn dünkte der Aufprall zu heftig; doch nein, er riet und bat vergebens; sie lachte und sagte: »Mein Entschluß steht »; er streckte die Hände aus; sie sprang um eine halbe Sekunde zu früh los, sie schlug auf dem Pflaster des Sockels auf und lag leblos da!
    Es war keine Wunde zu sehen, kein Blut, nicht die kleinste Blessur; aber ihre Augen waren geschlossen, sie atmete nicht,ihr Gesicht schien das einer Toten. – Welch grauenvoller Augenblick für alle, die um sie standen!
    Captain Wentworth, der mit ihr in den Armen dakniete, starrte in sprachlosem Entsetzen auf sie hinab, so leichenblaß wie sie selbst. »Sie ist tot! Sie ist tot!« jammerte Mary und klammerte sich an ihrem Mann fest, der vor Schreck ohnehin schon kein Glied rühren konnte; und Sekunden später raubte diese selbe Überzeugung auch Henrietta die Besinnung, und sie wäre auf den Stufen zusammengebrochen, hätten nicht Captain Benwick und Anne sie aufgefangen und von beiden Seiten gestützt.
    »Hilft mir denn keiner?« waren die ersten verzweifelten Worte, die Captain Wentworth ausstieß, in einem Ton, als ließe jedwede Kraft ihn im Stich.
    »Gehen Sie zu ihm«, rief Anne, »gehen Sie um Gottes willen zu ihm. Ich kann sie allein festhalten. Lassen Sie mich hier und gehen Sie zu ihm. Reiben Sie ihr die Hände ein, reiben Sie ihr die Schläfen ein, hier ist das Riechsalz, nehmen Sie, schnell!«
    Captain Benwick gehorchte, und da auch Charles sich inzwischen von seiner Frau hatte losmachen können, packten nun beide mit an, mit vereinten Kräften hoben sie Louisa ein Stück höher und faßten sie fester, und alle Ratschläge Annes wurden befolgt, aber vergeblich; während Captain Wentworth, der sich taumelnd an der Mauer abstützte, in bitterster Pein ausrief:
    »O Gott! ihr Vater! ihre Mutter!«
    »Ein Arzt!« sagte Anne.
    Er fing das Wort auf; er schien augenblicks neu belebt dadurch, und indem er nur sagte: »O Gott, ja, schnellstens ein Arzt«, wollte er schon forteilen, als Anne drängend hinzusetzte:
    »Captain Benwick, sollte nicht besser Captain Benwick gehen? Er wird wissen, wo ein Arzt zu finden ist.«
    Jedem seiner Sinne noch Mächtigen mußte dies soforteinleuchten, und im nächsten Moment (denn es war alles eine Folge blitzartiger Momente) hatte Captain Benwick die arme totengleiche Gestalt zur Gänze der Obhut des Bruders überlassen und rannte mit der äußersten Geschwindigkeit in Richtung Stadt.
    Was die unglücklichen Zurückbleibenden anging, so läßt sich kaum sagen, wer wohl am meisten durchmachte von den dreien, die noch klar denken konnten: Captain Wentworth, Anne oder Charles, der als liebender Bruder laut schluchzend neben Louisa kauerte und, sobald er den Blick von der einen Schwester hob, die andere ebenso bewußtlos daliegen sah oder die hysterischen Zustände seiner Frau mit anschauen mußte, die einen Beistand von ihm verlangte, zu dem er nicht fähig war.
    Während Anne sich mit aller Tatkraft, Hingabe und Umsicht, die der Instinkt ihr eingab, Henriettas annahm, versuchte sie zwischendurch doch auch, die anderen zu trösten, versuchte Mary zu beruhigen, Charles Mut zuzusprechen und die Gefühle von Captain Wentworth zu beschwichtigen. Beide schienen auf Anweisungen von ihr zu warten.
    »Anne, Anne«,

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