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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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würden, auch wenn er vielleicht noch keinen Antrag gemacht hatte; da hätte ich so wenig die Wahrheit über ihn sagen können, wie wenn er bereits Ihr Mann gewesen wäre. Mein Herz hat für Sie geblutet, während ich über Ihr Glück sprach. Und doch, er ist verständig, er ist liebenswürdig, und mit einer Frau wie Ihnen hätte es nicht vollkommen hoffnungslos sein müssen. Seine erste Frau hat er sehr schlecht behandelt. Es war eine grauenhafte Ehe. Aber sie war zu unwissend und unbedarft, als daß er sie hätte achten können, und er hat sie nie geliebt. Ich war willens zu hoffen, daß es Ihnen besser ergehen würde.«
    Den Hauch einer Möglichkeit, daß sie sich zu einem Jawort hätte verleiten lassen, mußte Anne sich eingestehen – genug, um sie schaudern zu machen bei dem Gedanken andas Elend, das hätte folgen müssen. Wie, wenn es Lady Russell gelungen wäre, sie zu überreden? Und gesetzt den Fall, wer von ihnen hätte am meisten gelitten, wenn die Zeit es alles an den Tag gebracht hätte, zu spät?
    Lady Russell mußten schnellstmöglich die Augen geöffnet werden; und ein abschließendes Ergebnis dieser wichtigen Konsultation, die sich fast bis mittags hinzog, war, daß Anne volle Freiheit erhielt, ihre Freundin in Mrs. Smiths ganze Geschichte einzuweihen, soweit sein Verhalten darin eine Rolle spielte.

KAPITEL X
    Anne ging nach Hause, um über das Gehörte nachzudenken. In einer Hinsicht brachte ihr neues Wissen über Mr. Elliot ihr Erleichterung: sie schuldete seinen Gefühlen nicht länger Rücksicht. Er stand nun als Gegenbild von Captain Wentworth da, in all seiner unliebsamen Zudringlichkeit; und seine fatalen Galanterien vom Vorabend, die irreparablen Schäden, die er damit angerichtet haben mochte, durften mit den unnachsichtigsten, ungemildertsten Empfindungen betrachtet werden. – Von Mitleid mit ihm konnte keine Rede mehr sein. Aber das war das einzig Erleichternde. Wohin sie sonst auch den Blick lenkte, ob um sich oder voraus, überall fand sie nur immer mehr Grund zu Mißtrauen und Beklommenheit. Der Gedanke an die Enttäuschung und Kränkung, die Lady Russell erwarteten, an die Demütigung, die auf Vater und Schwester zukam, all das bedrückte sie: so viele Übel sah sie vorher und wußte doch nicht, wie auch nur eines davon abwenden! – Dennoch war sie zutiefst dankbar, über ihn Bescheid zu wissen. Sie hätte niemals Lohn dafür erwartet, daß sie eine alte Freundin wie Mrs. Smith nicht fallenließ, aber jetzt fühlte sie sich mehr als belohnt. – Was Mrs. Smith ihr entdeckt hatte, das hätte niemand sonst ihr entdecken können. Wenn sich die Erkenntnis nur gleich auf ihre Familie übertragen würde! – Doch das zu hoffen war töricht. Sie mußte mit Lady Russell sprechen, sie einweihen, ihren Rat einholen, und wenn sie so ihr Bestes getan hatte, alles Weitere so gefaßt abwarten wie möglich – und am dringendsten benötigte sie Fassung ja ohnehin in jenemWinkel ihres Innern, den sie Lady Russell nicht offenbaren konnte, in jenem Auf und Ab der Furcht und des Bangens, das sie mit sich ganz allein abmachen mußte.
    Zu Hause angelangt, stellte sie fest, daß sie Mr. Elliot wie geplant verpaßt hatte; daß er ihnen einen Vormittagsbesuch abgestattet hatte und lange geblieben war; doch kaum beglückwünschte sie sich dazu und glaubte sich bis zum nächsten Tag sicher, erfuhr sie, daß er am Abend schon wieder erwartet wurde.
    »Ich hatte nicht die leiseste Absicht, ihn einzuladen«, sagte Elizabeth mit geheucheltem Gleichmut, »aber er ließ so viele Andeutungen fallen; zumindest meint das Mrs. Clay.«
    »Und ob ich das meine. Ich habe mein Lebtag keinen Menschen gesehen, der es so auf eine Einladung anlegte. Der arme Mann! Ich habe Qualen mit ihm gelitten; denn Ihre hartherzige Schwester, Miss Anne, schien fest entschlossen, die Grausame zu mimen.«
    »Oh!« rief Elizabeth, »mir ist das Spiel zu vertraut, als daß irgendwelche Andeutungen eines Gentlemans mich so rasch beeindrucken könnten. Ich habe mich erst erweichen lassen, als ich merkte, wie arg es ihm war, meinen Vater heute morgen nicht anzutreffen, denn ich versäume nie gern eine Gelegenheit, ihn und Sir Walter zusammenzubringen. Sie harmonieren so wunderbar miteinander! Der Charme, den sie beide zeigen! Und der Respekt, mit dem Mr. Elliot zu ihm aufblickt!«
    »Völlig einmalig!« bekräftigte Mrs. Clay, wobei sie es jedoch vermied, in Annes Richtung zu sehen. »Ganz wie Vater und Sohn! Liebe Miss Elliot, darf ich nicht

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