Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
mitzugeben außer Grüßen. Obwohl! nimm vielleicht gleich dieses öde Buch mit, das sie mir unbedingt leihen wollte, und tu so, als hätte ich es gelesen. Ich kann mich schließlich nicht unentwegt mit sämtlichen neuen Gedichten und Ergüssen zur Lage der Nation abplagen, die herauskommen. Lady Russell langweilt einen doch ziemlich mit ihren Neuerscheinungen. Sag ihr das besser nicht, aber ich fand ihr Kleid neulich grauenerregend. Ich dachte ja immer, sie hätte einen ganz passablen Kleidergeschmack, aber bei dem Konzert habe ich mich richtig für sie geschämt. Ihre ganze Aufmachung hatte so etwas Förmliches, Gewolltes! und dazu sitzt sie auch noch so steif! Trotzdem, beste Grüße.«
»Von mir auch«, fügte Sir Walter hinzu. »Ich lasse mich ihr freundlichst empfehlen. Und sage ihr ruhig, daß ich ihr bald meine Aufwartung machen werde. Drück es ein bißchen hübsch aus. Aber ich werde nur meine Karte abgeben. Vormittagsbesuche bei Frauen ihres Alters, die sich so wenig herrichten, sind immer heikel. Wenn sie nur Rouge auflegen würde, bräuchte sie keine Angst haben, sich zu zeigen; aber als ich das letzte Mal dort war, wurden die Jalousien doch auffällig schnell heruntergelassen.«
Während ihr Vater sprach, klopfte es an der Haustür. Wer konnte das sein? Anne hätte auf Mr. Elliot und seine Taktik des Hereinschneiens getippt, hätte sie nicht von seiner Verabredung sieben Meilen entfernt gewußt. Nach der üblichen Spanne der Ungewißheit wurden die üblichen Geräusche des Näherkommens laut, und »Mr. und Mrs. Charles Musgrove« wurden ins Zimmer geführt.
Überraschung, das war das stärkste Gefühl, das ihr Erscheinen auslöste; aber Anne war wirklich froh, sie zu sehen, unddie anderen zumindest nicht so entsetzt, daß sie alle guten Sitten vergaßen; und als sich auch noch herausstellte, daß diese beiden, ihre nächsten Verwandten, gar nicht bei ihnen wohnen wollten, wurden Sir Walter und Elizabeth nachgerade herzlich und machten in aller Form die Honneurs. Sie waren mit Mrs. Musgrove für ein paar Tage nach Bath gekommen und logierten im Gasthof »Zum Weißen Hirsch«. Soviel war bald ermittelt; aber Anne mußte sich gedulden, bis Sir Walter und Elizabeth Mary in den zweiten Salon geführt hatten und sich dort in ihrer Bewunderung sonnten, ehe der klardenkende Charles ihr berichten konnte, was sie herführte, und verriet, was es mit den neckischen Anspielungen auf gewisse ganz spezielle Angelegenheiten auf sich hatte, die Mary so demonstrativ einfließen ließ, und aufräumte mit der Verwirrung darüber, aus wem die Reisegesellschaft denn nun eigentlich bestand.
Sie bestand, erfuhr Anne, neben Mrs. Musgrove und ihnen beiden aus Henrietta und Captain Harville. Er faßte den Hergang nüchtern und bündig zusammen; und Anne erkannte darin ein paar sehr typische Abläufe wieder. Den ersten Anstoß zu dem Plan hatte Captain Harville gegeben, der geschäftlich nach Bath mußte. Er hatte vor einer Woche davon zu sprechen begonnen; und da die Jagdsaison um und Charles somit beschäftigungslos war, hatte er vorgeschlagen, Captain Harville zu begleiten, was Mrs. Harville für ihren Mann offenkundig sehr freute; aber Mary konnte es nicht ertragen, zurückzubleiben, und hatte sich darüber so sehr gekränkt, daß für einen Tag oder zwei alles in der Schwebe, wenn nicht gleich am Ende schien. Doch dann hatten sich seine Eltern der Sache angenommen. Seine Mutter hatte alte Bekannte in Bath, die sie gern besuchen wollte; es schien eine gute Gelegenheit für Henrietta, mitzukommen und für sich und ihre Schwester Hochzeitskleider zu kaufen; und kurzum, letztlich richtete nun seine Mutter die Fahrt aus, damit Captain Harville es in allem möglichst einfach undbequem hätte, und er selbst und Mary durften mit, so daß der allgemeine Frieden gesichert war. Sie waren spät am gestrigen Abend angekommen. Mrs. Harville war mit ihren Kindern und Captain Benwick bei Mr. Musgrove und Louisa in Uppercross geblieben.
Anne war nur überrascht, daß die Dinge schon so weit gediehen sein sollten, daß von Henriettas Hochzeitskleid die Rede war; sie hatte geglaubt, ihre Vermögenslage gestalte sich zu schwierig, um eine baldige Hochzeit zuzulassen; doch Charles erklärte ihr, daß ein Freund von Charles Hayter diesem vor ganz kurzem (seit Marys letztem Brief an Anne) eine Pfarre angetragen habe, für die der eigentliche Anwärter erst nach Ablauf einiger Jahre alt genug sein würde; und angesichts dieses vorläufigen
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