Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
schneite zu allen Tageszeiten bei ihnen herein – aber ich muß es wohl nicht weiter ausführen, Sie können sich selbst ausdenken, worauf ein hinterlistiger Mensch alles verfällt – und sich im Licht dieses Wissens vielleicht das eine oder andere ins Gedächtnis rufen, was Sie an ihm beobachtet haben.«
»Ja«, sagte Anne, »Sie sagen mir nichts, was nicht mit dem übereinstimmte, was ich bereits wußte oder mir vorstellen konnte. Es ist immer degoutant, die Verschlagenheit am Werk zu sehen, und die Ränke von Selbstsucht und Falschheit können nur abstoßend sein – aber wirklich überraschen kann mich daran nichts. Ich weiß einige, die schockiert wären über eine solche Einschätzung Mr. Elliots und denen es sehr schwerfiele, sie zu glauben; aber ich habe dem Frieden nie recht getraut. Mir schien immer, daß er noch andere Beweggründe für sein Verhalten haben muß, als er zugibt.– Aber wie beurteilt er denn nun die gegenwärtige Situation, im Hinblick auf das Ereignis, meine ich, das er so sehr fürchtet – hält er die Gefahr für größer oder für geringer?«
»Für geringer offenbar«, erwiderte Mrs. Smith. »Er denkt, daß Mrs. Clay Angst vor ihm hat, daß sie sich von ihm durchschaut fühlt und es in seinem Beisein nicht wagt, die Sache so voranzutreiben, wie sie es andernfalls täte. Aber da er nicht rund um die Uhr zur Stelle sein kann, weiß ich nicht, wie er sich jemals sicher fühlen will, solange sie ihren derzeitigen Einfluß ausübt. Mrs. Wallis, so höre ich von der Schwester, hat die drollige Vorstellung, daß der Ehevertrag zwischen Ihnen und Mr. Elliot eine Klausel enthalten soll, die Ihrem Vater die Heirat mit Mrs. Clay verbietet. Ein Plan, wie er dem Verstand von Mrs. Wallis entspricht, nach allem, was ich über sie höre; aber meine vernünftige SchwesterRooke merkt natürlich, wie absurd die Idee ist. – ›Aber, Ma’am‹, meinte sie zu mir, ›eine andere könnte er dann ja trotzdem nehmen!‹ Und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, daß Schwester Rooke im tiefsten Herzen so viel Verabscheuenswertes daran fände, wenn Sir Walter noch einmal heiratete. Wie sollte sie auch keine Befürworterin des Ehestands sein; und da der Eigennutz ebenfalls ein Wörtchen mitzureden hat, wer weiß, ob sie nicht der Gedanke streift, daß sie einmal das Wochenbett der nächsten Lady Elliot betreuen könnte, auf Empfehlung von Mrs. Wallis?«
»Ich bin sehr froh, das alles zu wissen«, sagte Anne nach einer Weile nachdenklich. »In manchem wird es den Umgang mit ihm beschwerlicher machen, aber ich werde besser wissen, welche Linie ich verfolgen muß. Ich kann eine klarere Haltung einnehmen. Mr. Elliot ist offensichtlich ein unlauterer, unaufrichtiger, profaner Mensch, den nie etwas anderes geleitet hat als die Selbstsucht.«
Aber damit war Mr. Elliot noch nicht abgehakt. Mrs. Smith war von ihrem ursprünglichen Kurs abgekommen, und Anne hatte über ihrer eigenen Familie ganz vergessen, welche Vorwürfe gegen ihn noch im Raum standen; doch nun wurde ihre Aufmerksamkeit zurückgelenkt zu jenen ersten Andeutungen, und sie lauschte einem Erguß, der, wenn er auch Mrs. Smiths Bitterkeit vielleicht nicht bis ins letzte rechtfertigte, doch eine sehr große Herzlosigkeit ihr gegenüber belegte, einen sehr großen Mangel an Unrechtsempfinden und Mitgefühl.
Sie waren so unzertrennlich geblieben wie zuvor, erfuhr Anne (Mr. Elliots Heirat hatte der Freundschaft zwischen ihnen keinen Abbruch getan), und Mr. Elliot hatte seinen Freund zu Ausgaben weit über dessen Verhältnisse verleitet. Sich selbst wies Mrs. Smith hierbei gar keine Schuld zu, und auch bei ihrem Gatten mochte sie sie nicht so recht suchen; aber Anne hörte doch heraus, daß ihr Einkommen zu keiner Zeit ihrem Lebensstil entsprochen hatte und daß sie sich vonBeginn an, getrennt wie auch gemeinsam, so mancher Ausschweifung ergeben haben mußten. So, wie seine Frau ihn beschrieb, schien Mr. Smith ein warmherziger, umgänglicher Mann gewesen zu sein, sorglos in seinem Verhalten und von nicht allzu scharfem Verstand, viel leutseliger als sein Freund und auch sonst ganz anders als dieser – von ihm geleitet und sehr wahrscheinlich auch von ihm verachtet. Mr. Elliot, durch seine Heirat nun plötzlich ein Mann von Vermögen, der seiner Vergnügungssucht und Eitelkeit auf jede Weise frönte, die nicht auf ihn zurückfiel (denn bei aller Zügellosigkeit hatte er doch vorauszuschauen gelernt), und dessen Reichtum just in dem Moment gekommen war,
Weitere Kostenlose Bücher