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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Trotz sind eine üble Mischung, Anne. Aber für einen anderen habe ich mich nie interessiert und wollte es auch nicht. Ich wollte tausendmal lieber eine alte Jungfer werden, als jemand anderen als Stephen Irving zu heiraten. Tja, jetzt kommt es mir wie ein Traum vor. Du schaust so anteilnehmend, Anne - so mitfühlend, wie man nur mit siebzehn dreinsehen kann. Aber übertreibe es nicht. Trotz meines gebrochenen Herzens bin ich glücklich und zufrieden. Es hat mir das Herz gebrochen, ja, als mir klar wurde, dass Stephen Irving nicht zurückkommen würde. Aber, Anne, ein gebrochenes Herz im wirklichen Leben ist nicht halb so schlimm, wie es in Büchern steht. Es ist so ähnlich wie Zahnweh - auch wenn das nicht gerade ein romantischer Vergleich ist. Man verspürt hin und wieder einen Schmerz, hat ab und zu eine schlaflose Nacht, aber ansonsten genießt man sein Leben, seine Träume, sein Echo und Erdnussbonbons, als hätte man weiter nichts. Jetzt bist du enttäuscht. Du findest mich nicht mehr halb so interessant wie noch vor fünf Minuten, als du annahmst, ich litte dauernd unter der tragischen Erinnerung, tapfer versteckt unter einem Lächeln. Das ist das Schlimmste - oder Schönste - im wirklichen Leben, Anne. Es lässt einem nicht elend zumute sein. Es setzt alles daran, einen aufzumuntern, und zwar mit Erfolg, selbst wenn man unter allen Umständen unglücklich und romantisch sein will. Schmeckt das Konfekt nicht lecker? Ich habe schon viel mehr gegessen, als gut für mich ist, aber ich esse unbekümmert weiter.«
    Nach kurzem Schweigen sagte Miss Lavendar unvermittelt: »Es war wie ein Schock, als du bei eurem allerersten Besuch Stephen Irvings Sohn erwähntest, Anne. Ich konnte nicht mit dir darüber reden. Aber ich will alles über ihn wissen. Was ist er für ein Junge?«
    »Er ist der liebste und süßeste Junge von der Welt, Miss Lavendar. Er stellt sich auch Sachen vor, genau wie Sie und ich.«
    »Ich würde ihn gern kennen lernen«, sagte Miss Lavendar leise, so als redete sie zu sich selbst. »Ich möchte wissen, ob er Ähnlichkeit mit dem kleinen Traumjungen hat, der hier bei mir wohnt. . . mit meinem Traumjungen.«
    »Dann bringe ich ihn einmal mit hierher«, sagte Anne.
    »Gern ... aber nicht allzu bald. Ich muss mich mit dem Gedanken vertraut machen. Vielleicht tut es eher weh, als dass es eine Freude ist — wenn er Stephen zu ähnlich sieht oder wenn er zu wenig Ähnlichkeit mit ihm hat. Sagen wir in einem Monat.«
    Wie abgemacht gingen Anne und Paul einen Monat später durch den Wald zum Steinhaus. Sie trafen Miss Lavendar auf dem Weg. Sie hatte noch nicht mit ihnen gerechnet und wurde blass.
    »Das ist also Stephens Sohn«, sagte sie mit leiser Stimme, nahm Pauls Hand und betrachtete ihn, wie er hübsch und kess vor ihr stand in seinem netten kleinen Pelzmantel und der Mütze. »Er... er sieht seinem Vater sehr ähnlich.«
    »Alle sagen, ich wäre ihm wie aus dem Gesicht geschnitten«, bemerkte Paul ungezwungen.
    Anne, die das kleine Schauspiel verfolgt hatte, atmete erleichtert auf. Miss Lavendar und Paul waren sichtlich voneinander »angetan«, es würde also nicht gezwungen oder steif zugehen. Miss Lavendar war durchaus vernünftig, trotz ihrer Träume und ihrer Romantik. Sie überwand ihre anfängliche Unsicherheit und plauderte so lebhaft und natürlich mit Paul, als wäre er der Sohn von irgendjemand, der ihr einen Besuch abstattete. Zusammen verbrachten sie einen lustigen Nachmittag und verspeisten zum Abendessen einen wahren Festschmaus fetter Köstlichkeiten, dass die alte Mrs Irving vor Entsetzen, Pauls Verdauung wäre ein für allemal ruiniert, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte.
    »Komm wieder, mein Kleiner«, sagte Miss Lavendar und schüttelte ihnen die Hände.
    »Wenn Sie wollen, können Sie mir einen Kuss geben«, sagte Paul ernst.
    Miss Lavendar beugte sich herunter und gab ihm einen Kuss. »Woher wusstest du, dass ich das gern wollte?«, flüsterte sie.
    »Weil Sie mich angeschaut haben wie meine Mutter, wenn sie mir einen Kuss geben wollte. Normalerweise mag ich es nicht. Jungen mögen es nicht. Sie verstehen schon, Miss Lewis. Aber bei Ihnen mag ich es. Bestimmt komme ich Sie wieder besuchen. Wenn Sie nichts dagegen haben, können wir ja Freunde sein.«
    »Ich . . . dagegen habe ich nichts«, sagte Miss Lavendar. Sie drehte sich um und ging schnell ins Haus. Aber gleich darauf winkte sie ihnen vom Fenster aus zum Abschied fröhlich lächelnd zu.
    »Ich mag Miss

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