Anne in Avonlea
Davy, schnupperte verzückt und schwang die Hacke mit seinen schmutzigen Händen. Er hatte in seinem Garten gewerkelt. Im Frühjahr hatte Marilla, um Davys Leidenschaft, in Matsch und Schlamm herumzuwühlen, in nützliche Bahnen zu lenken, Dora und ihm ein kleines Eckchen für einen Garten überlassen. Beide hatten sich auf die ihnen eigene Art und Weise ans Werk gemacht. Dora pflanzte, jätete Unkraut, goss sorgfältig - kurzum, sie ging nüchtern und sachlich vor. Ihr Beet war also bereits grün, mit sauberen geordneten Reihen Salat und Sommergemüsen. Davy dagegen ging eher mit Hingabe als mit Umsicht zu Werke. Er grub, hackte, rechte, goss und pflanzte so energisch um, dass die Pflänzchen keine Überlebenschance hatten.
»Wie geht es mit deinem Garten voran, Davy-Junge?«, fragte Anne. »Etwas langsam«, sagte Davy mit einem Seufzer. »Ich verstehe nicht, warum das Zeug nicht schnellerwächst. Milty Boulter sagt, ich hätte bei Mondfinsternis einsäen müssen. Daran liegt es. Er behauptet, man darf niemals säen oder ein Schwein schlachten oder sich die Haare schneiden oder sonstwas Wichtiges, wenn der Mond falsch steht. Stimmt das, Anne? Das will ich wissen.«
»Würdest du nicht jeden zweiten Tag die Pflanzen samt Wurzeln herausreißen, um nachzusehen, wie sie >am anderen Ende< wachsen, würden sie auch besser gedeihen«, sagte Marilla bissig.
»Nur sechs Stück habe ich herausgerupft«, wandte Davy ein. »Ich wollte nachsehen, ob an den Wurzeln Maden sind. Milty Boulter hat gesagt, wenn es nicht am Mond läge, müssten Maden schuld sein. Aber ich hab nur eine Made gefunden, eine riesig große, saftige, sich ringelnde Made. Ich hab sie auf einen Stein gelegt, einen anderen Stein genommen und sie platt gemacht. Das gab einen schönen Brei, kann ich euch sagen. Schade, dass es nicht mehr Maden gab. Dora hat ihren Garten zur selben Zeit eingesät wie ich und ihr Zeug wächst gut. Es kann nicht am Mond liegen«, sagte Davy nachdenklich. »Marilla, sieh dir den Apfelbaum an«, sagte Anne. »Als ob er lebte. Er streckte seine langen Arme aus, um elegant seine Röcke hochzuheben, damit wir ihn bewundern.«
»Die Gelben Duchesse tragen immer gut«, sagte Marilla zufrieden. »Der Baum wird dieses Jahr ganz überladen sein. Das freut mich richtig, die Sorte eignet sich prima für Kuchen.«
Aber weder Marilla noch Anne noch sonst jemand sollte in dem Jahr dazu kommen, mit gelben Duchesse-Äpfeln Kuchen zu backen.
Der 23. Mai kam - ein für die Jahreszeit ungewöhnlich heißer Tag, was niemand mehr auffiel als Anne und ihrem kleinen Bienenschwarm von Schülern, die in der Schule von Avonlea schwitzend über Bruchrechnen und Satzlehre standen. Den ganzen Vormittag über wehte ein heißer Wind. Nach Mittag legte er sich zu einer drückenden Stille. Um halb vier hörte Anne ein leises Donnergrollen. Sofort schickte sie die Schüler nach Hause, damit sie möglichst noch bevor der Sturm losbrach, zu Hause ankamen.
Als sie hinausgingen auf den Schulhof, nahm Anne trotz strahlenden Sonnenscheins eine gewisse Dunkelheit und Düsternis wahr. Annetta Bell griff nervös ihre Hand.
»Sehen Sie nur die düstere Wolke!«
Anne sah hin und stieß entsetzt einen Schrei aus. Aus Nordwesten kam rasend schnell eine gewaltige Wolke herangerollt, eine Wolke, wie sie sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte. Sie war tiefschwarz, außer an den wallenden, zerfetzten Rändern, wo sich ein grausiges fahles Weiß zeigte. Es sah unbeschreiblich bedrohlich aus, wie sie düster am klaren blauen Himmel aufragte. Hin und wieder schoss ein Blitz darüber, gefolgt von einem wütenden Grollen. Die Wolke hing so tief, dass sie fast die Spitzen der bewaldeten Hänge berührte.
Mr Harmon Andrews kam in seinem Wagen den Hügel hinuntergeholpert und trieb seine beiden Grauschimmel zu höchstem Tempo an. Gegenüber von der Schule hielt er an.
»Scheint, dass Onkel Abe das erste Mal in seinem Leben einen Treffer gelandet hat, Anne«, rief er. »Sein Sturm kommt etwas vor der Zeit. Hast du je so eine Wolke gesehen? Los, alle Kleinen, die in meine Richtung müssen, steigen ein. Alle anderen, die weiter als eine Viertelmeile haben, stellen sich am Postamt unter, bis das Gewitter vorüber ist.«
Anne nahm Davy und Dora an die Hand und rannte, so schnell wie die kurzen Beinchen der Zwillinge es zuließen, den Hügel hinunter, den Birkenpfad entlang, durchs Veilchental und Willowmere. Sie kamen gerade eben rechtzeitig auf Green Gables an. Marilla
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