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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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nicht retten können. Ich bin sonst nicht glücklich, versteht ihr. Aber findet ihr die Erstsemester nicht auch alle furchtbar hässlich? Nur ein ganz hübscher Junge war darunter. Er ist gegangen, bevor ihr kamt. Ich habe nur gehört, wie sein Freund ihn Gilbert nannte. Der Freund hatte Augen, die so weit vorstanden. Geht ihr etwa schon? Bleibt doch noch.«
    »Wir müssen wohl«, sagte Anne ziemlich kühl. »Es ist schon spät und ich muss noch ein paar Sachen erledigen.«
    »Aber ihr kommt mich doch besuchen?«, fragte Philippa, stand auf und legte einen Arm um beide. »Euch würde ich auch gern besuchen. Ich würde mich gern mit euch anfreunden. Ich habe euch beide so gern. Ich habe euch doch nicht etwa vergrätzt?«
    »Nicht ganz«, lachte Anne und erwiderte Phils Umarmung ihrerseits sehr herzlich.
    »Denn ich bin gar nicht so blöd, wie es vielleicht den Anschein hat. Ihr braucht mich nur zu nehmen, wie ich bin, mit all meinen Schwächen, dann könnten wir uns bestimmt gut vertragen.«
    »Nun, was hältst du von unserer neuen Freundin?«, fragte Priscilla, nachdem Phil gegangen war.
    »Ich mag sie. Irgendwie hat sie etwas Liebenswertes, auch wenn sie so viel dummes Zeug daherschwatzt. Ich glaube, wie sie selbst sagt, dass sie gar nicht so blöd ist, wie sie sich anhört. Sie hat etwas von einem lieben Baby, das man abküssen möchte - aber richtig erwachsen wird sie wohl nie werden.«
    »Ich mag sie auch«, sagte Priscilla entschieden. »Sie redet zwar genauso viel über Jungen wie Ruby Gillis. Aber bei Ruby werde ich jedes Mal wütend, oder mir wird ganz übel, während ich bei Phil einfach lachen könnte. Woran das bloß liegt?«
    »Es gibt einen Unterschied«, sagte Anne nachdenklich. »Ruby macht es mit Absicht. Sie treibt ihr Spielchen mit den Jungen. Außerdem gibt sie mit ihren vielen Verehrern ja bloß an, um einem so richtig unter die Nase zu reiben, dass man selbst nicht halb so viele hat. Bei Phil dagegen klingt es, als würde sie einfach von guten Freunden erzählen. Ich finde es schön, dass wir sie kennen gelernt haben, und ich finde es schön, dass wir nach Old St. John’s gegangen sind. Ich glaube, ich habe heute Nachmittag eine erste winzige Wurzel in Kingsport geschlagen. Das hoffe ich jedenfalls. Ich kann es nämlich nicht ausstehen, entwurzelt zu sein.«

05 - Briefe von zu Hause
    Während der ersten drei Wochen fühlten sich Anne und Priscilla wie Fremde in einem fremden Land. Dann nahmen das Redmond, die Professoren, der Unterricht, die Kommilitonen, das Lernen und die Treffen sie immer mehr in Anspruch. Das Leben verlief wieder im Gleichklang.
    Die Neuen waren nicht mehr nur eine Ansammlung von Einzelperson, sondern bildeten eine Einheit; sie spornten einander an, hatten gemeinsame Interessen, es bildeten sich Freundschaften heraus und es gab ein gemeinsames Ziel. Im jährlich stattfindenden »Kunstwettstreit« trugen sie gegen die Zweitsemester den Sieg davon. Das gab natürlich enormen Auftrieb. Drei Jahre in Folge hatten die Zweitsemester den Wettbewerb gewonnen. Dass dieses Jahr die Neulinge den Sieg auf ihre Fahnen schreiben konnten, war Gilbert Blythes generalstabmäßiger Planung zu verdanken. Er hatte die Sache in die Hand genommen und sich ganz neue Ideen überlegt. Als Anerkennung dafür wurde er zum Sprecher der Anfänger ernannt.
    Anne und Priscilla fanden schnell Anschluss. Das hatten sie vor allem Philippa Gorden zu verdanken. Ihre Schönheit und ihr Charme - und dass sie Charme hatte, räumten alle ein -öffneten ihnen den Zugang zu sämtlichen Cliquen und Grüppchen am Redmond. Wohin sie ging, gingen auch Anne und Priscilla. Phil »verehrte« die beiden, vor allem Anne. Sie war eine treue Seele und überhaupt nicht eingebildet. Ohne Aufhebens bezog sie die zwei in den immer größer werdenden Freundeskreis mit ein. Anne und Priscilla kamen zu dem Schluss, dass sie es im Gegensatz zu vielen anderen Neuen sehr leicht hatten, Anschluss zu finden.
    Für Anne und Priscilla, die das Leben mehr von der ernsten Seite nahmen, blieb Phil das lustige, liebenswerte Wesen. Doch hatte sie »ganz schön Köpfchen«. Woher sie die Zeit zum Lernen nahm, war ein Rätsel, denn sie war immer irgendwelchem »Spaß« hinterher. Wenn sie mal einen Abend zu Hause blieb, bekam sie meist Besuch. Sie war umschwärmt wie keine, sodass fast alle Neuen und viele aus den höheren Semestern in ihr eine Rivalin sahen. Sie selbst fand es köstlich und berichtete Anne und Priscilla fröhlich von jeder neuen

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