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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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einem schlaksigen, armen, hässlichen Pfarrer - noch dazu mit dem Namen Jonas -etwas machen?
    Gute Nacht,
    Phil
     
    P.S.: Es geht eigentlich gar nicht, aber ich befürchte doch sehr, dass ich mich verliebt habe. Ich bin glücklich und fühle mich elend und habe Angst. Er wird sich nie etwas aus mir machen, ich weiß. Meinst du, aus mir könnte je eine ganz passable Pfarrersfrau werden, Anne? P.G.«

25 - Der Märchenprinz
    »Ich überlege gerade, ob ich hier bleiben oder nach draußen gehen soll«, sagte Anne und sah vom Fenster von Pattys Haus aus zu den Kiefern im Park. »Ich habe den ganzen Nachmittag frei, Tante Jimsie. Soll ich nun hier gemütlich am Feuer sitzen bleiben oder soll ich einen Spaziergang in den Park machen?«
    »Wäre ich so jung wie du, dann würde ich lieber in den Park gehen«, sagte Tante Jamesina und kitzelte mit einer Stricknadel Joseph an seinem gelben Ohr.
    »Ich dachte, du fühlst dich jung«, neckte Anne sie.
    »Ja, innerlich. Aber ich habe nicht mehr so junge Beine wie ihr. Geh du besser an die frische Luft, Anne. Du siehst blass aus in letzter Zeit.«
    »Also gut, ich gehe«, sagte Anne unruhig. »Mir ist heute nicht danach, im Haus eingesperrt zu sein. Im Park ist bestimmt kein Mensch, weil alle beim Footballspiel sind.«
    »Warum gehst du eigentlich nicht zum Football?«
    »Mich hat keiner gefragt«, sagte sie, »jedenfalls nur dieser grausliche Dan Ranger. Und mit dem würde ich nirgends hingehen. Aber er war ziemlich gekränkt. Na, egal. Ich bin heute irgendwie nicht in Football-Laune.«
    »Geh du besser an die frische Luft«, wiederholte Tante Jamesina, »aber nimm den Schirm mit, es wird Regen geben. Mein Rheuma plagt mich.«
    »Nur alte Leute haben Rheuma, Tantchen.«
    »Jeder kann Rheuma bekommen, Anne. Aber nur alte Leute sollten an Gemüts-Rheumatismus leiden. Gott sei Dank habe ich das nie gehabt. Wer an Gemüts-Rheumatismus leidet, legt sich am besten gleich in den Sarg.«
    Es war November. Anne wanderte durch die mit Kiefern bestandenen Wege im Park und ließ sich, so sagte sie zu sich, von dem schönen rauschenden Wind die Trübsal fortblasen. Anne war selten einmal trübsinnig.
    Aber seit ihrer Rückkehr nach Redmond war das anders. Nach außen hin ging das Leben in Pattys Haus mit den täglichen Arbeiten im Haushalt und dem Lernen seinen gewohnten Gang. An den Freitagabenden drängten sich in der vom Feuer erhellten Wohnstube die Besucher. Es war ein einziges Scherzen und Lachen, während Tante Jamesina strahlend zusah. Der gewisse »Jonas« kam freitags oft. Er fuhr mit dem Frühzug vom St. Columbia her und mit dem letzten Zug abends wieder zurück. Er war ein gern gesehener Gast, obwohl Tante Jamesina kopfschüttelnd meinte, dass Theologiestudenten auch nicht mehr das wären, was sie mal waren. »Er ist schon nett«, sagte sie zu Phil, »aber Pfarrer sollten ernster sein und sich würdiger benehmen.«
    »Und wenn man noch so viel lacht, kann man nicht trotzdem ein guter Mensch sein?«, sagte Phil.
    »Oh, man - ja. Aber ich sagte Pfarrer, meine Gute«, wies Tante Jamesina sie zurecht. »Du solltest nicht dauernd mit ihm flirten - solltest du wirklich nicht.«
    »Tu ich doch gar nicht«, protestierte Phil.
    Niemand, außer Anne, glaubte ihr. Die anderen fanden, sie trieb ihr übliches Spielchen, und sagten rundherum, sie wäre gemein.
    »Er ist nicht so ein Alec- und Alonzo-Typ, Phil«, sagte Stella streng. »Er meint es ernst. Du brichst ihm noch das Herz.«
    »Meinst du, das könnte ich schaffen?«, fragte Phil. »Nichts lieber als das.«
    »Philippa Gorden! Für so gefühllos hätte ich dich nicht gehalten. Kommst daher und sagst, nichts lieber als das!«
    »Das habe ich nicht gesagt, Herzchen. Zitiere mich bitte richtig. Ich habe gesagt, könnte. Wenn es mir tatsächlich gelingen würde, wäre ich glücklich.«
    »Ich verstehe dich nicht, Phil. Du verführst ihn - dabei denkst du dir nichts weiter dabei!«
    »Ich denke mir dabei, dass er mich bittet, seine Frau zu werden«, erwiderte Phil ruhig.
    »Du bist ein hoffnungsloser Fall«, sagte Stella verzweifelt. Auch Gilbert tauchte hin und wieder freitags abends auf. Er war stets guter Laune und schien sich bestens zu unterhalten. Weder suchte er Annes Nähe, noch ging er ihr aus dem Weg. Wenn sie zufällig aufeinander stießen, unterhielt er sich höflich mit ihr, wie man eben mit einer Bekannten redet. Die alte Kameradschaft war dahin. Anne spürte es deutlich. Aber sie sagte sich, sie könnte heilfroh sein, dass

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