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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Valley Road, und einmal mehr Lehrerin auf dem Dorf. Ich wohne im >Haus am Wegrand<, es gehört Miss Janet Sweet. Janet ist lieb und ausgesprochen hübsch; groß, aber nicht zu groß; ziemlich kräftig, aber auch bei üppigem Essen geht sie nicht in die Breite. Ihre krausen Haare mit ein paar grauen Strähnen steckt sie zu einem Knoten. Sie hat ein strahlendes Gesicht mit rosigen Wangen und große freundliche Augen, blau wie Vergissmeinnicht. Obendrein gehört sie zu diesen phantastischen Köchinnen, die nach alter Art kochen und sich keinen Deut darum scheren, ob sie einem den Magen ruinieren, Hauptsache, sie können einen ordentlich bekochen.
    Ich kann sie gut leiden. Und sie mag mich - wohl vor allem deshalb, weil sie eine Schwester namens Anne hatte, die aber jung gestorben ist.
    >Wirklich schön, dass Sie da sind<, sagte sie heiter, als ich auf dem Hof stand. >Jesses, Sie sehen ja ganz anders aus, als ich Sie mir vorgestellt habe. Ich hätte geschworen, Sie haben dunkle Haare - meine Schwester Anne hatte auch dunkle Haare. Und nun sind Sie ein Rotschopf!<
    Da dachte ich schon, ich würde Janet doch nicht so gut leiden können. Dann machte ich mir klar, dass ich wirklich so viel Verstand haben müsste und nicht gegen jemand voreingenommen sein sollte, nur weil man mich Rotschopf genannt hat. Wahrscheinlich kennt Janet das Wort >kastanienbraun< gar nicht.
    Das »Haus am Wegrand« ist ein schmuckes Haus. Es ist klein und weiß getüncht und liegt in einer Senke abseits der Straße. Zwischen Haus und Straße liegen der Obst- und der Blumengarten, in denen alles wild durcheinander wächst. Der Weg zur Eingangstür ist von Venusmuschelschalen eingefasst. Mein Zimmer ist eng und winzig und >geht von der Wohnstube« ab - das Bett und ich passen gerade eben hinein. Die Wohnstube ist ebenfalls klein und schmuck. Vor einem der Fenster steht eine riesige Weide, sodass das Zimmer in dem grünen Licht wie eine Höhle aussieht. Auf den Sesseln liegen schöne Sesselschoner, auf dem Boden bunte Läufer und auf einem runden Tisch sorgfältig ausgebreitet Bücher und Karten. Auf dem Kaminsims stehen Vasen mit getrockneten Gräsern. Dazwischen stehen verzierte Namensplatten -fünf insgesamt, und zwar zum Gedenken an Janets Eltern, an einen Bruder, ihre Schwester Anne und an einen Burschen, der hier gestorben ist! Wenn ich in nächster Zeit plötzlich sterbe, dann weißt du, dass das an den Namensplatten liegt. Ansonsten ist alles, wie ich auch zu ihr gesagt habe, wunderbar. Janet hat mich dafür ins Herz geschlossen, so wie sie Esther wegen ihres Ausspruchs, so viel Totenkult wäre ungesund, gehasst hat. Außerdem hat Esther sich geweigert, in einem Federbett zu schlafen. Also, ich schlafe gern in einem Federbett, je dichter, umso besser. Janet meint, es wäre die reinste Wonne, mir beim Essen zuzusehen. Sie hätte ja so befürchtet, ich wäre wie Miss Hawthorne, die zum Frühstück nur Obst und Wasser zu sich genommen hätte und Janet dazu bringen wollte, dass sie das Kochen einstellt.
    Janet hat gemeint, bei Herrenbesuch könnte ich die Wohnstube benutzen! Viel Besuch werde ich wohl nicht bekommen. Denn bislang habe ich hier noch niemanden kennen gelernt, mal abgesehen vom Burschen der Nachbarn.
    Aber es bahnt sich eine Romanze an. Ich scheine vom Pech verfolgt, dass ich dauernd in irgendwelche Liebesgeschichten verwickelt bin.
    Ab sofort spiele ich nur mehr die passive Beobachterin. Einmal habe ich mich eingemischt und die Sache voranzutreiben versucht und habe damit alles nur noch viel schlimmer gemacht. Also mische ich mich kein zweites Mal ein. Ich berichte dir davon, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«

32 - Zum Tee bei Mrs Douglas
    Am ersten Donnerstagabend nach ihrer Ankunft in Valley Road batJanet Anne, sie zur Kirche zu begleiten. Janet putzte sich heraus und erblühte förmlich wie eine Rose. Sie trug ein hellblaues, mit Stiefmütterchen besticktes Musselinkleid, das so viele Rüschen hatte, wie man es der sparsamen Janet nie zugetraut hätte. Sie setzte einen weißen Strohhut mit roten Rosen und drei Straußenfedern daran auf. Anne war einigermaßen verblüfft. Später fand sie heraus, warum Janet sich so herausgeputzt hatte - aus einem Grund, so alt wie die Menschheit.
    Der Kirchgang schien in Valley Road vorwiegend eine Sache der Frauen zu sein. Zweiunddreißig Frauen waren anwesend, zwei fast erwachsene Jungen und, außer dem Pfarrer, ein einziger Mann. Anne betrachtete den Mann. Er war weder schön noch jung noch

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