Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
Vom Netzwerk:
von wegen, was sie sich eigentlich für mich vorgestellt hätte. Tja, in den Ferien bin ich nicht gerade auf Rosen gewandelt, meine Lieben. Aber... ich habe gesiegt und Jo gewonnen. Alles andere spielt keine Rolle.«
    »Für dich nicht«, sagte Tante Jamesina düster.
    »Und für Jo auch nicht«, erwiderte Phil. »Du bedauerst ihn. Bitte! Ich finde, er ist zu beneiden, wo er in mir eine kluge, hübsche Person hat.«
    »Wir wissen zum Glück, wie wir das zu verstehen haben«, sagte Tante Jamesina geduldig. »Aber ich hoffe, dass du so nicht vor anderen daherredest. Was sollen die Leute von dir denken?«
    »Das interessiert mich nicht die Spur. Ich will mich nicht mit den Augen anderer Leute sehen. Das wäre überwiegend wohl sowieso scheußlich.«
    »Das erinnert mich an etwas«, sagte Anne und erzählte von John und Janet.
    »Und erzähle uns die Geschichte, über die du in einem Brief so geheimnisvolle Andeutungen gemacht hast«, bat Phil. Anne ahmte Sam, wie er ihr den Antrag machte, nach. Die Mädchen bogen sich vor Lachen, Tante Jamesina lächelte immerhin.
    »Es ist gar nicht nett von euch, euch über eure Freunde lustig zu machen«, sagte sie streng. »Aber«, fügte sie ruhig hinzu, »ich habe es früher selbst auch getan.«
    »Erzähle uns von deinen Verehrern, Tantchen«, flehte Phil. »Du hast doch eine ganze Menge gehabt.«
    »Ich habe noch welche«, erwiderte Tante Jamesina. »Da gab es drei ältere Witwer, die mir immer schmachtende Blicke zugeworfen haben. Ihr jungen Leute braucht nicht zu meinen, ihr hättet alle Romanzen der Welt für euch allein gepachtet.«
    »Witwer und schmachtende Blicke, das klingt aber nicht sehr romantisch, Tantchen.«
    »Gut, nein. Aber junge Leute sind auch nicht immer sonderlich romantisch. Manche meiner Verehrer waren es auch nicht. Ich habe mich immer furchtbar lustig gemacht über sie, die armen Kerle.«
    »Und was ist mit den übrigen, Tantchen?«
    »Geht und packt eure Koffer aus«, sagte Tante Jamesina und deutete versehentlich mit Joseph statt mit einer Stricknadel. »Die waren viel zu nett, um sich über sie lustig zu machen. Ich werde sie immer in guter Erinnerung behalten. In deinem Zimmer liegt eine Schachtel mit Blumen, Anne. Vor ungefähr einer Stunde wurden sie hier abgegeben.«
    Ab der zweiten Woche paukten die Mädchen viel und regelmäßig.
    Es war ihr letztes Jahr am Redmond, also hieß es, sich anstrengen und einen guten Abschluss machen. Anne konzentrierte sich auf Englisch, Priscilla auf Latein und Griechisch und Philippa auf Mathematik. Mal hatten sie die Lernerei satt, dann wieder waren sie entmutigt, ein andermal fanden sie, dass sich das alles nicht lohne. In einer solchen Stimmung ging Stella an einem regnerischen Abend im November nach oben ins blaue Zimmer.
    Anne saß auf dem Fußboden, in einem kleinen Lichtkreis von der Lampe neben ihr und inmitten von einem Stoß weißer Blätter.
    »Was um alles in der Welt machst du da?«
    »Ich sehe mir nur noch einmal ein paar alte Geschichten aus unserem Geschichtenklub an. Ich wollte mich aufheitern und abschalten. Ich habe gelernt, bis ich schon ganz trübsinnig war. Da habe ich das hier aus meinem Koffer ausgegraben. Die Geschichten triefen nur so von Tränen und Tragik, dass sie direkt zum Brüllen komisch sind.«
    »Ich bin auch ganz trübsinnig«, sagte Stella und ließ sich auf das Sofa fallen. »Das Leben ist fade.«
    »Es liegt nur an dieser Schufterei und am Wetter. Ein Regentag wie heute, und das nach einem ganzen Tag Paukerei, macht jeden fertig.«
    »Hm, mag schon sein. Was lachst du, Anne?«
    »Über die Geschichten. Phil würde sagen, sie sind sensationell - in mehr als einer Hinsicht, weil erstens in jeder Geschichte jemand stirbt. Und zweitens haben wir uns nur strahlend schöne Heldinnen ausgedacht - und wie wir sie ausstaffiert haben! Seide - Satin - Samt - Juwelen - Spitze -nur solche Sachen tragen sie. Hier ist eine Geschichte von Jane Andrews. Die Heldin trägt ein sagenhaftes, weißes, mit Perlen besticktes Satinnachthemd.«
    »Mach weiter«, sagte Stella. »Wenn es etwas zu lachen gibt, ist das Leben gleich überhaupt nicht mehr fade.«
    »Hier ist eine von mir. Meine Heldin geht auf einen Ball und glitzert nur so von riesigen Klunkern! Aber was nützen ihnen Schönheit und prunkvolle Kleider? >Der Pfad allen Prunks führt doch ins Grab.< Unsere Hauptfiguren werden entweder umgebracht oder sie sterben an gebrochenem Herzen. So oder so, es gab kein Entrinnen.«
    »Lass mich ein paar

Weitere Kostenlose Bücher