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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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kümmerte, fingen an, einander zu jagen, und sprangen wie rasend Mrs Gardner auf den Schoß, die ein Seidenkleid trug, und dann in wildem Tempo wieder herunter. Mrs Gardner hob ihre Stielbrille und starrte den davonjagenden Kreaturen nach, als hätte sie ihr Lebtag noch keine Katzen gesehen. Anne unterdrückte ein leises nervöses Lachen und entschuldigte sich lahm.
    »Sie mögen wohl Katzen?«, sagte Mrs Gardner mit einem Anflug von Unduldsamkeit.
    Anne, trotz aller Zuneigung zu Rusty, mochte Katzen an sich nicht besonders, aber Mrs Gardners Tonfall ärgerte sie.
    »Es sind doch wirklich liebe Tiere, nicht wahr?«, sagte sie boshaft.
    »Ich konnte Katzen noch nie leiden« sagte Mrs Gardner geringschätzig.
    »Aber ich«, sagte Dorothy. »Sie sind schön und eigensinnig. Hunde sind viel zu brav und haben keinen eigenen Willen. Mir sind sie zuwider. Aber Katzen haben etwas unglaublich Menschliches.«
    »Sie haben dort zwei wunderschöne Porzellanhunde stehen, darf ich sie mir einmal näher ansehen?«, sagte Aline, ging quer durchs Zimmer zum Kamin und löste unfreiwillig den zweiten Zwischenfall aus. Sie nahm einen der Hunde in die Hand und setzte sich auf das Kissen, unter dem Priscillas Schokoladenkuchen versteckt war. Priscilla und Anne tauschten gequälte Blicke aus, konnten aber nichts tun. Die stattliche Aline blieb auf dem Kissen sitzen und redete weiter über Porzellanhunde, bis sie schließlich aufbrachen.
    Dorothy verweilte noch einen kurzen Augenblick, drückte Annes Hand und flüsterte ihr zu:
    »Ich weiß genau, dass wir beide uns prima verstehen werden. Roy hat mir viel von Ihnen erzählt. Ich bin die Einzige in der Familie, der er sich anvertraut, der arme Kerl - Mama und Aline kann man nämlich nicht trauen. Es muss herrlich sein hier! Darf ich nicht öfter kommen?«
    »Sooft Sie möchten«, erwiderte Anne herzlich und war froh, dass wenigstens eine von Roys Schwestern sympathisch war.
    Mit Aline würde sie nie warm werden, das stand fest. Und Aline würde sie nicht mögen, auch wenn sie Mrs Gardner vielleicht für sich eingenommen hatte. Doch Anne seufzte erleichtert auf, als das Martyrium ein Ende hatte.
    »Der Kuchen ist hinüber«, sagte Priscilla, »und das Kissen auch. Freitage sind eben doch Unglückstage.«
    »Wer sich für samstags ankündigt, sollte nicht schon am Freitag aufkreuzen«, sagte Tante Jamesina.
    »Roy hat sich bestimmt geirrt«, sagte Phil. »Der überlegt gar nicht genau, was er sagt. Wo ist Anne eigentlich?«
    Anne war nach oben gegangen. Ihr war nach Heulen zu Mute. Aber dann musste sie lachen. Rusty und Joseph hatten sich schlicht scheußlich aufgeführt. Aber Dorothy war wirklich nett.

37 - Fertig Studierte
    »Ich wünschte, ich wäre tot oder es wäre schon morgen Abend«, stöhnte Phil.
    »Nur Geduld und beides wird wahr!«, sagte Anne.
    »Du hast leicht reden, du kannst in Seelenruhe abwarten. Du hast in Philosophie schon so gut wie bestanden. Im Gegensatz zu mir - wenn ich an die Arbeit morgen denke, packt mich die Panik.«
    »Du fällst nicht durch. Wie ist es dir heute in Griechisch ergangen?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht habe ich eine gute Arbeit abgeliefert, vielleicht ist sie aber auch so schlecht, dass sich Homer im Grabe herumdreht. Ich habe jetzt so viel gelernt und über Aufgaben gebrütet, dass ich überhaupt keine Meinung mehr habe. Oh, ich bin heilfroh, wenn diese Prüfereien endlich vorbei sind!«
    »Prüfereien? Das Wort gibt es doch gar nicht.«
    »Na, darf ich nicht auch einmal ein Wort erfinden?«, sagte Phil.
    »Wörter erfindet man nicht - sie entstehen«, sagte Anne. »Egal - Land in Sicht, Mädchen! Ist euch eigentlich klar, dass unsere Redmond-Zeit bald um ist?«
    »Ich mag gar nicht daran denken«, sagte Anne traurig. »Es kommt mir vor wie gestern, dass Priscilla und ich unter all den Neuen am Redmond gestanden haben. Und jetzt stehen wir vor den letzten Prüfungen.«
    »Fähige, gescheite Abschlusssemestler«, sagte Phil. »Meint ihr, wir haben überhaupt etwas dazugelernt in der Zeit am Redmond?«
    »Du benimmst dich manchmal gar nicht so«, sagte Tante Jamesina streng.
    »Oh, Tante Jimsie, waren wir denn nicht brav in den drei Wintern, in denen du uns versorgt hast?«, sagte Phil inständig. »Ihr wart die vier liebsten, nettesten, bravsten Mädchen«, versicherte Tante Jamesina, die nie mit Komplimenten geizte, wenn es angebracht war. »Aber ich habe doch so meine Zweifel, ob ihr vernünftig geworden seid. Das wäre natürlich auch zu viel

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