Anne in Windy Willows
Sie nicht. Er wird herumtoben und mit wüsten Schimpfworten um sich werfen. Ich an Ihrer Stelle könnte heute Nacht kein Auge zutun.«
»Mir schwant auch nichts Gutes«, seufzte Anne ergeben.
Kapitel 8
Anne hatte ein äußerst ungutes Gefühl, als sie sich am Abend darauf nach Elmcroft aufmachte. Franklin Westcott würde sie zwar nicht umbringen, da hatte Dovie sicherlich Recht. Anne fürchtete sich auch weniger davor, dass Franklin Westcott möglicherweise irgendeinen Gegenstand nach ihr werfen würde. Sie hatte vielmehr Angst davor, dass er sie anschreien und beschimpfen würde. Immerhin war er bekannt für seinen Sarkasmus, und Sarkasmus war etwas, wovon Anne wirklich zurückschreckte. Sarkastische Worte taten ihr in der Seele weh und sie litt oft wochenlang darunter.
Tante Jamesina sagte immer: »Überbringe nie eine schlechte Nachricht, wenn du es vermeiden kannst«, dachte Anne bei sich. Sie hat gewusst, wovon sie sprach.
Elmcroft war ein altes Haus mit einem Turm an jeder Ecke und einem kuppelförmigen Dach. Auf der obersten Stufe vor dem Hauseingang saß der Hund. Anne überlegte, ob sie lieber den Seiteneingang nehmen sollte. Der Gedanke, dass Franklin Westcott sie womöglich vom Fenster aus beobachtete, machte ihr jedoch Mut. Er sollte auf keinen Fall den Eindruck bekommen, sie hätte Angst vor dem Hund. Sie fasste sich also ein Herz, stapfte entschlossenen Schrittes die Stufen hinauf und an dem Hund vorbei und klingelte. Der Hund rührte sich nicht von der Stelle. Als Anne sich vorsichtig nach ihm umsah, stellte sie fest, dass er schlief.
Franklin Westcott war nicht zu Hause, wurde aber jeden Moment aus Charlottetown zurückerwartet. Tante Maggie führte Anne in die Bibliothek und ließ sie allein. Der Hund war aufgewacht und ihnen ins Zimmer gefolgt. Nach einer Weile macht er es sich zu Annes Füßen bequem.
Anne sah sich um. Das Zimmer gefiel ihr, es war ein freundlicher, offenbar häufig benutzter Raum. Ein gemütliches Feuer brannte im Kamin, und den zerschlissenen roten Teppich verdeckten mehrere Bärenfelle. Franklin Westcott schien ansonsten besonders für Bücher und Pfeifen zu schwärmen.
Im selben Moment hörte sie ihn kommen und konnte ihn durch die offene Tür beobachten. Anne fand, dass er aussah wie ein ehrenwerter Pirat.
»Ach, Sie sind’s mal wieder«, begrüßte er sie ziemlich schroff. »Was gibt’s?«
Er gab ihr noch nicht einmal die Hand. Anne fand, dass der Hund bei weitem bessere Manieren hatte als er.
»Mr Westcott, bitte hören Sie mich geduldig an, bevor -«
»Ich bin geduldig, äußerst geduldig sogar. Also!« Franklin Westcott hatte es offenbar nicht besonders gern, wenn man um den heißen Brei herumredete.
»Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Dovie und Jarvis Morrow geheiratet haben«, sagte sie mit fester Stimme. Anne war auf das große Donnerwetter gefasst. Aber nichts dergleichen geschah. Franklin Westcott zuckte nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen setzte er sich ruhig in den Ledersessel Anne gegenüber und fragt: »Wann?«
»Gestern Abend, bei Jarvis Morrows Schwester«, erklärte Anne.
Franklin Westcott blickte wortlos unter seinen grauen Augenbrauen hervor. Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und brach in sein typisches lautloses Lachen aus.
»Sie dürfen Dovie nicht die Schuld geben, Mr Westcott«, sagte Anne ernst und versuchte, die Fassung wieder zu gewinnen. »Sie kann nichts dafür -«
»Natürlich nicht«, lachte Franklin Westcott.
Wollte er sich lustig machen?
»Es ist alles meine Schuld«, gestand Anne. »Ich habe sie überredet, wegzu-, ich meine, zu heiraten. Ich habe sie regelrecht gezwungen. Bitte verzeihen Sie ihr, Mr Westcott.«
Franklin Westcott griff unbeeindruckt nach einer Pfeife und fing an, sie zu stopfen. »Wenn Sie es fertig gebracht haben, Sibyl zu überreden, mit Jarvis Morrow durchzubrennen, Miss Shirley, dann haben Sie eine unglaubliche Leistung vollbracht. Ich war schon nahe daran, die Hoffnung aufzugeben, dass sie es jemals schaffen würde. Was das für eine Blamage gewesen wäre. Nichts ist für einen Westcott schlimmer, als klein beigeben zu müssen! Sie haben mein Gesicht gerettet, Miss Shirley, und dafür danke ich Ihnen tausendmal.« Franklin Westcott stampfte seinen Tabak fest und sah Anne mit einem belustigten Augenzwinkern an. Anne wusste vor Ratlosigkeit nicht, was sie sagen sollte.
»Ich nehme an«, sagte er, »Sie haben vor Angst gezittert, als Sie hierher kamen, um mir diese schreckliche
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