Anne in Windy Willows
fragte Dovie ängstlich. »Na, das kannst du dir ja wohl denken.«
»Oh, Anne, ich habe es einfach mit der Angst gekriegt«, weinte Dovie los. »Die ganze letzte Nacht habe ich kein Auge zugetan. Ich konnte mich einfach nicht durchringen! Wegzulaufen wäre einfach eine Schande, Anne. Außerdem würde ich keine Geschenke bekommen . . . nicht viele jedenfalls. Und ich wollte doch immer schon in der Kirche hei-hei-heira-ten . . . alles schön geschmückt.. . und im weißen Kleid mit Schleier . . . und in si-hi-hilbernen Schuhen!« Sie wurde von Schluchzen gebeutelt.
»Dovie Westcott, du steigst jetzt sofort aus dem Bett, ziehst dich an und kommst mit!«, befahl Anne.
»Anne, es ist zu spät.«
»Nein, es ist nicht zu spät! Jetzt oder nie, darüber musst du dir im Klaren sein. Dovie, wenn du auch nur einen Funken Verstand hast. Du musst begreifen, dass Jarvis Morrow nie wieder etwas von dir wissen will, wenn du ihn dermaßen zum Narren hältst.« Anne stemmte energisch die Arme in die Seiten.
»Ach, wenn er weiß, was los ist, wird er mir vergeben«, sagte Dovie schwach.
»Nein, das wird er nicht. Ich kenne Jarvis Morrow. Irgendwann hat das Spiel ein Ende. Dovie, willst du, dass ich dich eigenhändig aus dem Bett ziehe?«
Dovie zitterte und seufzte. »Ich habe aber kein passendes Kleid«, jammerte sie kläglich.
»Du hast ein halbes Dutzend hübscher Kleider«, ließ Anne diesen Einwand nicht gelten. »Zieh dein rosa Taftkleid an.«
»Und ich habe nichts an Aussteuer. Die Morrows werden mir das mein Leben lang vorwerfen.«
»Für die Aussteuer ist nachher noch Zeit genug. Sag mal, Dovie, hast du dir denn nicht vorher Gedanken über diese Dinge gemacht?«
»Nein, das ist ja das Schlimme. Ich habe erst gestern Abend angefangen, darüber nachzudenken. Und Vater ... Sie kennen ja Vater, Anne.«
»Dovie, ich gebe dir genau zehn Minuten, um dich anzuziehen!« Anne wurde plötzlich sehr laut.
Dovie hielt die vorgeschriebene Zeit ein.
»Das Kleid ist zu e-e-eng«, schluchzte sie, als Anne ihr die Häkchen zumachte. »Wenn ich noch dicker werde, wird Jarvis mich bestimmt nicht mehr li-i-ieben. Ich wünschte, ich wäre so groß und schlank wie Sie, Anne. Oh, Anne, was machen wir, wenn Tante Maggie uns hört!«
»Sie hört uns nicht. Sie ist unten in der Küche, und du weißt ja, dass sie ein bisschen schwerhörig ist. So, hier sind dein Hut und dein Mantel, und ein paar Sachen habe ich noch in diese Tasche gestopft.«
»Oh, ich bin ja so aufgeregt. Sehe ich schlimm aus, Anne?«
»Du siehst hübsch aus«, sagte Anne. Dovie sah wirklich rosig aus und selbst die Tränen hatten keine Spuren hinterlassen.
Jarvis war sichtlich verärgert, als sie endlich kamen, und auf der Fahrt verhielt er sich ziemlich kühl.
»Um Himmels willen, Dovie, du machst ein Gesicht, als ob es dir davor graut, mich zu heiraten«, sagte er ungeduldig, als es so weit war und sie die Treppe in Stevens Haus herunterkam. »Und fang jetzt bloß nicht an zu heulen, sonst kriegst du eine geschwollene Nase. Es ist schon fast zehn, und wir müssen den Elfuhrzug noch erreichen.«
Als die Trauung unwiderruflich vollzogen war, ging es Dovie wieder gut. Sie hatte sogar schon ihre »Flitterwochenmiene« aufgesetzt, wie Anne sich später in einem Brief an Gilbert ausdrückte.
»Liebste Anne, das alles haben wir Ihnen zu verdanken«, jubelte sie. »Wir werden Ihnen das nie vergessen, nicht wahr, Jarvis? Und ehe ich’s vergesse, liebste Anne, würden Sie mir noch einen einzigen Gefallen tun? Bitte bringen Sie Vater die Neuigkeit bei. Er kommt morgen Abend zurück - und irgendjemand muss es ihm schließlich sagen. Und wenn jemand es schafft, ihn zu besänftigen, dann sind Sie es. Bitte tun Sie alles, damit er mir vergibt.«
Anne hätte eigentlich eher selbst etwas Besänftigung brauchen können, andererseits hatte sie aber das ungute Gefühl, für das Happyend verantwortlich zu sein. Also gab sie Dovies Bitte nach.
»Natürlich wird er fürchterlich wüten. Aber jemanden umbringen, das kann er nicht«, sagte Dovie zum Trost. »Oh, Anne, Sie haben ja keine Vorstellung davon, wie sicher ich mich bei Jarvis fühle.«
Als Anne nach Hause kam, platzte Rebecca Dew fast vor Neugier. Im Nachthemd folgte sie Anne in ihr Turmzimmer hinauf und ließ sich alles haargenau berichten.
»So was nennt man >Leben<«, sagte sie bissig. »Na, da kriegt Franklin Westcott ja endlich seinen großen Auftritt, wenn Sie ihm die Nachricht überbringen. Um den Job beneide ich
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