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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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einen anerkennenden Blick zu. Doch er sagte nichts. Ich fuhr fort:
    »Wenn dir das widerfährt, wird dir auch Resignation nichts nützen. Resignation erfordert Willenskraft, und Willenskraft erfordert eine Entscheidung, und die wiederum erfordert die Kraft zu glauben, und um zu glauben, braucht man etwas, an das man glauben kann! Und jedes Handeln oder Akzeptieren schließt die Vorstellung eines Zeugen ein. Aber da ist nichts, und es gibt keine Zeugen! Du weißt das jetzt noch nicht, aber ich weiß es.

    Wenn du es herausfindest, dann hoffe ich, dass du jemanden hast, der dir Trost spendet, während du diese monströsen Relikte dort unten schmückst und kleidest!
    Während du ihnen Blumen bringst!« Ich war wirklich zornig. Ich sprach weiter:
    »Denk an mich, wenn dieser Augenblick kommt – wenn nicht, um zu vergeben, dann doch wenigstens, um mich als Beispiel zu nehmen. Denn ich habe diese Dinge erfahren, und ich habe sie überlebt. Und es spielt keine Rolle, dass ich Paulus lauschte, als er von Christus pre-digte, oder dass ich der Königin Blumenkronen flechte oder dass ich vor dem Morgengrauen im Garten wie eine Närrin bei Mondschein tanze oder dass ich … dass ich dich liebe. Es spielt keine Rolle. Denn es existiert nichts.
    Und kein Zeuge dafür. Niemand!« Ich seufzte. Es war Zeit aufzuhören.
    »Kehre zu deiner Geschichtsschreibung, diesen aufgehäuften Lügen, zurück, in denen versucht wird, ein Ereignis mit dem anderen durch Ursache und Wirkung zu verbinden, zu diesem absurden Glauben, der voraus-setzt, dass eines aus dem anderen folgt. Ich sage dir, dass dem nicht so ist. Doch es ist das typisch Römische an dir, das zu glauben.«
    Er saß schweigend da und schaute zu mir auf. Ich wusste nicht, was er dachte oder wie er im tiefsten Inneren fühlte. Schließlich fragte er:
    »Was sollte ich denn deiner Ansicht nach tun?« Er hatte nie unschuldiger ausgesehen.
    Ich lachte bitter. Sprachen wir nicht dieselbe Sprache?
    Er hatte nicht eines meiner Worte aufgenommen. Und dann stellte er mir statt aller Antwort nur diese simple Frage.
    »Na gut«, sagte ich. »Ich werde dir sagen, was ich will.
    Liebe mich, Marius, liebe mich, aber lass mich in Ruhe!«

    Ich schrie es heraus. Ich hatte nicht nachgedacht. Die Worte kamen einfach. »Lass mich in Ruhe, damit ich mir meine eigenen Tröstungen suchen kann, meine eigenen Wege, am Leben zu bleiben, egal, wie albern oder sinnlos diese Tröstungen dir erscheinen mögen. Lass mich in Ruhe!«
    Er war verletzt und völlig verständnislos und sah immer noch ganz unschuldig aus.
    Im Laufe der Jahrzehnte hatten wir immer wieder ähnliche Auseinandersetzungen.
    Manchmal kam er nachher zu mir; er verfiel dann in lange, grüblerische Reden über das, was seiner Meinung nach mit dem Kaiserreich geschah, dass die Kaiser verrückt würden und dass der Senat keine Macht habe, dass der Fortschritt des Menschen in der ganzen Natur einzigartig und deshalb der Beobachtung wert sei. Und er meinte, dass er selbst sich so lange nach dem Leben verzehren werde, bis es kein Leben mehr gebe.
    »Selbst wenn da nichts mehr wäre als tote Wüste«, sagte er, »würde ich noch leben und sehen wollen, wie sich Düne an Düne schmiegt. Wenn nur noch ein Licht in der Welt übrig bliebe, würde ich seine Flamme beobachten wollen. Und dir ginge es sicher nicht anders.«
    Doch die Bedingungen für unsere Kämpfe änderten sich nicht, genauso wenig wie ihre Heftigkeit.
    Tief in seinem Herzen glaubte er, dass ich ihn hasste, weil er in der Nacht, als er mir die Dunkle Gabe verliehen hatte, so unfreundlich mit mir umgegangen war. Ich sagte ihm, dass das kindisch sei. Aber ich konnte ihn einfach nicht davon überzeugen, dass meine Seele und meine Intelligenz für einen so stupiden Groll zu groß waren und dass ich ihm keine Erklärung für meine Gedanken, Worte und Taten schuldig war.
    Zwei Jahrhunderte lang teilten wir unser Leben und unsere Liebe. Er wurde immer schöner für mich.
    Als dann immer mehr Barbaren aus dem Norden und Osten in die Stadt strömten, sah er keinen Sinn mehr darin, an den römischen Gewändern festzuhalten, und trug fast immer die juwelenbesetzten Kleider der östlichen Provinzen. Sein Haar schien feiner und heller zu werden. Er schnitt es nur selten; wenn er es hätte kurz tragen wollen, hätte er es jeden Abend aufs Neue ab-schneiden müssen. Es legte einen Glanz um seine Schultern.
    Als sein Gesicht sich immer mehr glättete, schwanden auch die wenigen Linien, die so leicht

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