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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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unbeseelten Willfährigkeit erlebte. Sie erschienen vollkommen unzugänglich; ihre Mitwirkung war schwerfällig und erschreckend anzusehen.
    In seinem vierzigsten Lebensjahr erkrankte Flavius; das löste zwischen Marius und mir den ersten unserer wirklich schrecklichen Kämpfe aus. Das war noch zu einem früheren Zeitpunkt, noch vor dem Erdbeben.
    Es war übrigens eine wunderbare Epoche, denn der böse, alte Tiberius baute überall in Antiochia neue, herrliche Gebäude.
    Antiochia sollte mit Rom konkurrieren können. Aber Flavius war krank.
    Marius konnte es kaum ertragen. Flavius war ihm mit der Zeit mehr als lieb geworden – sie sprachen dauernd über Aristoteles, außerdem hatte Flavius sich als einer dieser Männer herausgestellt, die alles können, von der Haushaltsführung bis hin zur genauesten Abschrift schwierigster, unter den Händen zerfallender Texte.
    Flavius hatte uns nie eine Frage zu unserer Existenz gestellt. In seiner Seele waren, wie ich fand, Zuneigung und Akzeptanz viel stärker als Neugier oder Angst.
    Wir hofften beide, dass Flavius nur eine harmlose Krankheit hatte. Aber als sein Fieber stieg, wandte er den Kopf ab, wann immer Marius sich ihm näherte. Nur wenn ich ihm die Hand reichte, klammerte er sich daran. Häufig lag ich stundenlang neben ihm, so wie er einst neben mir gelegen hatte.
    Dann nahm mich Marius eines Nachts mit zum Garten-tor und sagte: »Er wird tot sein, wenn ich zurückkomme.
    Kannst du das ohne mich durchstehen?«
    »Fliehst du davor?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete er, »aber er will nicht, dass ich ihn sterben sehe, er will nicht, dass ich ihn vor Schmerzen stöhnen höre.«
    Ich nickte.
    Marius ging fort.
    Lange vorher schon hatte er die Regel aufgestellt, dass nie wieder ein Bluttrinker gemacht werden sollte. Ich versuchte deshalb gar nicht erst, mit ihm darüber zu sprechen.
    Sobald er fort war, machte ich Flavius zu einem Vampir. Ich ging zu Werke, wie es einst der Verbrannte, Marius und Akasha bei mir gemacht hatten, denn Marius und ich hatten lange über die Methoden diskutiert – nimm so viel Blut wie möglich, dann gib so viel zurück, bis du fast ohnmächtig wirst.
    Ich wurde prompt ohnmächtig und erwachte, als sich ein hinreißender griechischer Mann zaghaft lächelnd, von allen Übeln befreit, über mich beugte. Er neigte sich zu mir und nahm meine Hand, um mir auf die Füße zuhelfen.
    In dem Augenblick betrat Marius das Zimmer, starrte den wieder geborenen Flavius verblüfft an und sagte dann: »Geh! Verschwinde aus diesem Haus, aus dieser Stadt, aus dieser Provinz, aus diesem Reich.«
    Flavius’ letzte Worte an mich waren: »Ich danke dir für diese Dunkle Gabe.« Diese spezielle Formulierung, die Lestat so häufig in seinen Büchern benutzt, hörte ich damals aus Flavius’ Mund zum ersten Mal. Wie gut dieser gelehrte Athener sie doch verstanden hatte.
    Für Stunden mied ich Marius. Er würde mir nie vergeben! Dann ging ich hinaus in den Garten und sah, dass er sich grämte. Als er aufblickte, erkannte ich, dass er überzeugt gewesen war, ich hätte zusammen mit Flavius fortgehen wollen. Ich nahm ihn in die Arme. Stumme Erleichterung und Liebe erfüllten ihn; er vergab mir sofort meine »totale Unbesonnenheit«.
    »Siehst du denn nicht«, sagte ich, die Gelegenheit nut-zend, »dass ich dich liebe? Aber du kannst nicht über mich herrschen! Kannst du dir in deiner vernünftigen Art nicht vorstellen, dass dir der beste Teil unserer Gabe entgeht? Nämlich die Freiheit von den durch ›weiblich‹
    oder ›männlich‹ festgelegten Grenzen?«
    Er antwortete: »Du kannst mich nicht eine Sekunde davon überzeugen, dass du nicht fühlst, denkst und han-delst wie eine Frau. Wir beide liebten Flavius. Aber warum noch ein Bluttrinker?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht einfach, weil Flavius es wollte; er kannte all unsere Geheimnisse, es gab da … ein Verstehen zwischen uns beiden. Er hat in den dunkelsten Stunden meines sterblichen Lebens treu zu mir gestanden. Ach, ich kann es nicht erklären.«
    »Weibliche Gefühlsduselei, wie ich gesagt habe! Und deshalb hast du dieses Wesen in die Ewigkeit entlas-sen.«
    »Er ist genau wie wir auf der Suche«, antwortete ich.
    Um die Mitte des Jahrhunderts, als der Reichtum der Stadt enorm gewachsen war und im Imperium Frieden herrschte, der die nächsten zwei Jahrhunderte anhalten sollte, kam der Christ Paulus nach Antiochia.
    Ich machte mich eines Abends auf, um ihn reden zu hö-
    ren, und bei meiner Rückkehr

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