Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
Vom Netzwerk:
schätze, niemand weiß genau, was eigentlich zwischen Caesar Augustus und Ovid gewesen ist, jedenfalls wurde Ovid für den Rest seines Lebens aus dem Herr-schaftsbereich Roms verbannt.
    Ich hatte jedoch die zerlesenen Exemplare der Amores und der Metamorphosen schon längst konsumiert, als der Zwischenfall, den ich nun schildern möchte, eintrat.
    Und viele Freunde meines Vaters waren in ständiger Sorge um Ovid.
    Nun also zu der besonderen Erinnerung: Ich war zehn Jahre alt. Von oben bis unten schmutzig, mit hängenden Haaren und zerrissenem Kleid kam ich vom Spielen ins Haus und sauste in den großen Empfangsraum meines Vaters – ließ mich am Fuße seines Ruhebetts nieder, um zu hören, was gesprochen wurde, während er dort mit der ganzen Würde eines Römers saß und mit anderen Männern, die ihre Aufwartung machten, plauderte.
    Die Besucher waren mir alle bekannt, bis auf einen, und dieser Mann war blond und blauäugig und sehr groß, und während der Unterhaltung – die nur aus Flüstern und Nicken bestand – drehte er sich zu mir um und blinzelte mir zu.
    Das war Marius: die Haut leicht gebräunt von seinen Reisen und in den Augen ein schönes Leuchten. Er hatte wie jeder Römer drei Namen. Aber ich kann nur wiederholen, ich werde seinen Familiennamen, obwohl ich ihn kenne, nicht preisgeben. Ich wusste, er war eine Art
    »schwarzes Schaf« in intellektueller Hinsicht, der »Dichter«, der »Tagedieb«. Allerdings hatte mir nie jemand gesagt, dass er schön war.
    Nun, an jenem Tag sah ich Marius, den lebensprühenden Menschen, das war etwa fünfzehn Jahre, bevor er zu einem Vampir wurde. Ich schätze, dass er höchstens fünfundzwanzig war. Aber ich bin mir nicht sicher.
    Weiter: Die Männer schenkten mir keine Aufmerksamkeit, und meinem immer neugierigen kleinen Kopf ging langsam ein Licht auf: Sie brachten meinem Vater Nachricht von Ovid; der große Blonde mit den bemerkenswerten blauen Augen, der Marius hieß, war gerade von der baltischen Küste zurückgekehrt, und er hatte meinem Vater diverse Geschenke mitgebracht, die sich als ordentliche Abschriften der Werke Ovids, der alten wie der neuesten, herausstellten.
    Die Männer versicherten meinem Vater, dass es immer noch viel zu gefährlich sei, Caesar Augustus etwas über Ovid vorzujammern, und mein Vater sah das ein. Doch wenn ich mich nicht irre, vertraute er Marius, dem Blonden, einiges Geld für Ovid an. Als die Herren gingen, sah ich Marius im Atrium stehen und bekam einen richtigen Eindruck von seiner Körpergröße, die für einen Römer recht ungewöhnlich war; ich seufzte tief und brach in ein mädchenhaftes Kichern aus. Er blinzelte mir abermals zu.
    Marius trug sein Haar damals kurz, nach römischer Manier militärisch gestutzt, mit ein paar spärlichen Lok-ken in der Stirn; als man ihn zum Vampir machte, war es lang, und so ist es auch heute wieder, doch damals hatte es den typisch langweiligen römischen Militärschnitt. Immerhin war es blond und leuchtete im sonnendurchflute-ten Atrium, und er schien mir der strahlendste und beeindruckendste Mann zu sein, der mir je unter die Augen gekommen war. Er sah mich sehr freundlich an.

    »Warum bist du so groß?«, frage ich ihn. Mein Vater fand das natürlich witzig, und es war ihm gleichgültig, was die anderen über seinen kleinen Schmutzfink dachten, der an seinem Arm hing und mit der ehrenwerten Gesellschaft plapperte.
    »Mein Schatz«, sagte Marius, »ich bin so groß, weil ich ein Barbar bin!« Mit seinem Lachen, das eigentlich ein Flirten war, erwies er mir als einer kleinen Dame seine Reverenz, was mir recht selten passierte.
    Plötzlich krümmte er seine Finger zu Klauen und stürm-te auf mich zu wie ein Bär.
    Auf der Stelle verliebte ich mich in ihn!
    »Nein, ehrlich!«, sagte ich. »Du bist doch kein Barbar!
    Ich kenne deinen Vater und deine Schwestern; sie wohnen da unten am Hügel. Die ganze Familie redet bei Tisch immer über dich, natürlich nur Gutes.«
    »Da bin ich mir sicher«, antwortete er und brach in Lachen aus. Mir war bewusst, dass mein Vater nervös wurde.
    Was ich nicht wusste, war, dass ein zehnjähriges Mädchen versprochen werden konnte.
    Marius richtete sich auf, und mit seiner sanften, wohl-klingenden Stimme, die darin geübt war, sowohl öffentliche Reden als auch Liebesworte zu sprechen, sagte er:
    »Ich bin durch meine Mutter mit den Kelten verwandt, meine kleine Schönheit, meine Muse. Ich stamme von den hoch gewachsenen Menschen des Nordens ab, von den

Weitere Kostenlose Bücher