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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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einwenden kann. Die sind doch alle gleich!«
    »Nein, nein, Vater«, rief ich. »Ich werde ihn nie vergessen.« Ich glaube, ich hatte ihn schon am nächsten Tag vergessen.
    Ich sah Marius fünf Jahre lang nicht.
    Ich weiß das noch so genau, weil ich fünfzehn war und schon längst hätte verheiratet sein sollen und absolut nicht wollte. Jahr um Jahr hatte ich mich davor gedrückt, indem ich Krankheiten vortäuschte, Wahnsinn, unkontrollierte Anfälle. Nun lief mir die Zeit davon, denn ich war schon seit meinem zwölften Lebensjahr heiratsfähig.

    Zu diesem Zeitpunkt standen wir alle als Zuschauer am Fuße des Palatin, wo die hochheiligen Luperkalien zele-briert wurden, eine der vielen Feiern, die zum römischen Leben gehörten.
    Die Luperkalien waren besonders wichtig, obwohl man ihre Bedeutung nur schwer jemandem erklären kann, der eine christliche Auffassung von Religion hat. Es zeugte von Frömmigkeit, ein solches Fest zu feiern, als Bürger und tugendhafter Römer daran teilzunehmen.
    Und außerdem hatte man großen Spaß dabei.
    Also war ich auch da, gar nicht weit von der heiligen Grotte, dem Luperkal, entfernt, und schaute zusammen mit anderen jungen Frauen zu, wie die beiden in diesem Jahr ausgewählten Männer mit dem Blut eines geopfer-ten Ziegenbocks bestrichen und anschließend in die noch blutige Haut des Opfertiers gehüllt wurden. Dieses Mal hatte ich keine besonders gute Sicht, doch ich schaute nicht zum ersten Mal zu, und als vor einigen Jahren zwei meiner Brüder bei dieser Zeremonie gelaufen waren, hatte ich mich weit nach vorn gedrängt, um alles gut verfolgen zu können.
    Diesmal gewann ich schließlich einen ganz guten Überblick, als die beiden jungen Männer sich einzeln auf den Weg machten und ihren Lauf um den Fuß des Palatins begannen. Ich schob mich vorwärts, wie man es von mir erwartete. Die Jünglinge schlugen mit einem Streifen Ziegenhaut leicht auf die sich ihnen entgegenstrecken-den Arme der jungen Frauen, was uns reinigen und fruchtbar machen sollte.
    Ich trat vor und empfing den zeremoniellen Schlag.
    Während ich wieder zurückging, wünschte ich mir, ein Mann zu sein, damit ich zusammen mit den anderen Männern um diesen Hügel rennen könnte: ein durchaus gewohnter Wunsch für mich zu allen Zeiten meines sterblichen Lebens.
    Über diese »Reinigung« hegte ich einige ziemlich sarkastische Gedanken, doch ich war inzwischen alt genug, um in der Öffentlichkeit den Anstand zu wahren, und hät-te um nichts in der Welt meinen Vater oder meine Brüder beschämt.
    Diese Streifen aus Ziegenhaut werden, wie du weißt, David, februa genannt, und Februar kommt von diesem Wort. So viel also zur Sprache und zu der Magie, die ihr, ohne dass das bekannt wäre, innewohnt. Bestimmt hatten die Luperkalien etwas mit Romulus und Remus zu tun, vielleicht ahmten sie sogar Menschenopfer aus alter Zeit nach. Immerhin bestrich man die Köpfe der jungen Männer mit Ziegenblut. Mich schaudert, weil das in etrus-kischer Zeit, lange bevor ich geboren wurde, eine wesentlich grausamere Zeremonie gewesen sein könnte.
    Möglicherweise hat Marius bei dieser Gelegenheit meine Arme gesehen, denn ich streckte sie weit aus, um diesen zeremoniellen Schlag zu empfangen, und wie du sicher bemerkst, neigte ich überhaupt schon sehr dazu, mich zu produzieren; ich lachte zusammen mit den anderen Mädchen, während die Männer ihren Lauf fortsetzten.
    In der Menge entdeckte ich Marius. Er sah mich an, dann wieder in sein Buch. Wie merkwürdig! Er lehnte an einem Baumstamm und schrieb. So etwas tat doch keiner – gegen einen Baum gelehnt, mit der einen Hand ein Buch haltend und mit der anderen schreibend. Ein Sklave stand neben ihm mit einem Tintenfass.
    Marius’ Haar war lang und wunderschön. Ganz wild.
    Ich wandte mich an meinen Vater: »Sieh nur, da ist unser Freund Marius, der große Barbar, und er schreibt.«
    Mein Vater lächelte und antwortete: »Marius schreibt ständig. Zum Schreiben taugt er, wenn auch für nichts anderes. Dreh dich um, Lydia. Sei still.«

    »Aber er hat mich angesehen, Vater. Ich möchte mit ihm sprechen.«
    »Das wirst du nicht, Lydia. Du wirst ihm nicht einmal ein winziges Lächeln schenken!«
    Auf dem Weg nach Hause fragte ich meinen Vater:
    »Wenn du mich ohnehin mit jemandem verheiraten willst
    – wenn es für mich außer Selbstmord kein Mittel gibt, dieser widerlichen Entwicklung zu entgehen –, warum verheiratest du mich dann nicht mit Marius? Ich versteh’s nicht. Ich bin

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