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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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die ich als die liebende Tochter meines Vaters nie überschreiten würde.
    Ich wurde Stammgast im Tempel. Schließlich wurde ich in einer geheimen Zeremonie aufgenommen und nahm bald an jeder Prozession zu Ehren der Göttin Isis in Rom teil.
    Meine Ehemänner hassten das. Möglicherweise habe ich deshalb den Kult wieder aufgegeben, nachdem ich in das Haus meines Vaters zurückgekehrt war. Wie dem auch sei, es war wahrscheinlich gut so. Aber das Schicksal ließ sich durch meine Entscheidungen nicht so leicht zu meinen Gunsten beeinflussen.
    Nun war Isis eine importierte Göttin, aus Ägypten natürlich, und die alteingesessenen Römer brachten ihr das gleiche Misstrauen entgegen wie der Schrecken erregenden Kybele, der Großen Mutter aus dem Fernen Osten, deren männliche Anbeter sich ihr zu Ehren kastrierten. In der ganzen Stadt schwirrte es nur so von
    »östlichen Riten«, und die konservative Bevölkerung fand sie grässlich.
    Diese Kulte konnte man nicht rational erfassen; sie be-ruhten auf Ekstase oder Euphorie. Sie boten eine vollkommene Wiedergeburt durch Einsicht.
    Der typisch altmodische Römer war dafür viel zu praktisch veranlagt. Wenn du mit fünf Jahren noch nicht wusstest, dass die Götter erfundene Wesen waren und die alten Mythen erfundene Geschichten, dann warst du ein Dummkopf.
    Aber Isis besaß eine merkwürdige Eigenschaft – etwas, das sie von der grausamen Kybele stark unterschied. Isis war beides, liebende Mutter und Göttin. Isis vergab ihren Anbetern alles. Isis war schon vor aller Schöpfung da.
    Isis war langmütig und weise.
    Aus diesem Grund konnte selbst eine in Schande lebende Frau in ihrem Tempel beten. Darum wurde niemand abgewiesen.
    Genau wie die Jungfrau Maria, die heute in Ost und West bekannt ist, empfing Isis, die Allherrschende, ihr göttliches Kind auf göttlichen Wegen. Dank eigener Fä-
    higkeiten kam sie an den lebendigen Samen des toten, kastrierten Osiris. Und häufig wurde sie auf Bildern oder als Skulptur mit ihrem göttlichen Sohn Horus auf dem Schoß dargestellt, die Brust in aller Unschuld entblößt, um den jungen Gott zu stillen.
    Und Osiris regierte im Land der Toten; sein Phallus war für immer in den Fluten des Nils untergegangen, doch aus ihm floss ein nie endender Samenstrom, der jedes Jahr, wenn der Fluss über die Ufer trat, den weiten Feldern Ägyptens Fruchtbarkeit schenkte.
    Die Musik unseres Tempels war himmlisch. Wir spielten das Systrum, eine Art kleine Lyra aus starrem Metall, da-zu Flöten und Tambourine. Dann tanzten wir und sangen zusammen. Die Isis-Litaneien waren von einer herrlichen, rauschhaften Poesie.
    Isis war die Schutzherrin der Seefahrt und trug, ähnlich wie später die Jungfrau Maria, einen entsprechenden Beinamen.
    Jedes Jahr, wenn ihre Statue zum Meeresstrand hinun-tergetragen wurde, war ganz Rom auf den Beinen, um diese überwältigende Prozession zu sehen: die ägyptischen Götterbilder mit ihren Tierköpfen, die üppige Blumenpracht und natürlich die Statue der Mutter und Himmelskönigin. Die Luft hallte von Hymnen wider. Die Priester und Priesterinnen waren in weiße Leinengewänder gekleidet. Das marmorne Standbild der Isis, deren Hand das heilige Systrum hielt, ragte hoch über den Köpfen der Menge; sie trug ein königliches griechisches Gewand und eine griechische Haartracht.
    Das war meine Isis. Nach meiner letzten Scheidung wurde ich ihr abtrünnig. Mein Vater mochte den Isis-Kult nicht, und ich selbst hatte ihn lange genug genossen. Mir als freier Frau hatten die Prostituierten nicht den Kopf verdreht. Ich hatte es unendlich viel besser. Ich führte meinem Vater den Haushalt, und er war alt genug – trotz seines schwarzen Haars und seiner noch bemerkenswert guten Augen –, so dass der Kaiser mich in Frieden ließ.
    Ich könnte nicht sagen, dass ich mich an Marius erinnerte beziehungsweise an ihn dachte. Jahrelang hatte ihn niemand erwähnt. Nach den Luperkalien war er einfach aus meinem Bewusstsein verschwunden. Es gab keine irdische Kraft, die sich zwischen mich und meinen Vater hätte stellen können.
    Meine Brüder waren alle vom Glück begünstigt. Sie verheirateten sich gut, hatten Kinder und kamen heil aus den grausamen Kriegen zurück, in denen sie kämpften, um die Grenzen des Reiches zu verteidigen.
    Meinen jüngsten Bruder, Lucius, mochte ich nicht besonders. Er war immer ein wenig unsicher, neigte zur Trunksucht und offensichtlich auch zum Glücksspiel, was seiner Frau großen Verdruss bereitete.
    Sie hatte

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