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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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ich ins Herz geschlossen wie alle meine Schwägerinnen, meine Neffen und Nichten. Ich genoss es, wenn sie in unser Haus einfielen, diese Scharen von Kindern, die – mit »Tante Lydias Segen« – quietschend und ungebärdig herumtobten, was sie zu Hause nie ge-durft hätten.
    Mein ältester Bruder, Antonius, hatte das Zeug, Großes zu vollbringen. Das Schicksal brachte ihn um die Größe, obwohl er sich bestens darauf vorbereitet hatte, gut aus-gebildet und klug, wie er war.
    Nur ein Mal habe ich Antonius etwas Törichtes sagen hören, das war, als er laut und deutlich behauptete, dass Kaiser Augustus von seiner Gattin Livia vergiftet worden sei, damit ihr Sohn Tiberius Kaiser werden könne. Mein Vater, der außer mir der Einzige im Zimmer war, sagte streng zu ihm:
    »Antonius, sag das nie wieder! Nicht hier und auch nir-gendwo anders!« Mein Vater stand auf, und ohne es zu wollen, rückte er die Art und Weise, wie er und ich lebten, ins rechte Licht. »Halte dich fern vom Kaiserpalast«, sagte er, »halte dich fern von den kaiserlichen Familien; nimm bei den Spielen in den ersten Rängen deinen Platz ein, ebenso im Senat, aber lass dich nicht in die kaiserlichen Auseinandersetzungen und Ränke verwickeln.«
    Antonius war sehr zornig, doch das hatte nichts mit meinem Vater zu hin.
    »Ich habe es nur denen gegenüber erwähnt, bei denen ich es wagen kann, dir und Lydia gegenüber. Ich verabscheue es, mit einer Frau zu speisen, die ihren Gatten vergiftet hat! Augustus hätte die Republik wieder ausru-fen lassen sollen. Er wusste, wann sein Ende nahe war.«
    »Ja, und er wusste auch, dass er die Republik nicht wieder errichten konnte. Das war einfach unmöglich. Das Imperium hat sich bis nach Britannien im Norden und bis jenseits von Parthien im Osten ausgedehnt; es umfasst den ganzen Norden Afrikas. Wenn du ein guter Römer sein willst, Antonius, dann steh auf und sage vor dem Senat deine Meinung. Tiberius lädt ja dazu ein.«
    »Ach, Vater, du lässt dich zu leicht täuschen«, sagte Antonius. Mein Vater setzte diesem Streit ein Ende.
    Aber er und ich führten genau das Leben, das er beschrieben hatte.
    Tiberius schaffte es in kürzester Zeit, sich bei den lär-menden römischen Massen unbeliebt zu machen. Er war zu alt, zu trocken, zu humorlos, zu sittenstreng und gleichzeitig zu tyrannisch.
    Aber er besaß einen Vorzug, der einen mit ihm versöhnte. Abgesehen von seiner tiefen Liebe zur Philosophie und seinen umfassenden Kenntnissen auf diesem Gebiet, war er ein sehr guter Soldat. Und das war schließlich der wichtigste Charakterzug, den man vom Kaiser verlangte.
    Die Truppen respektierten ihn.
    Er verstärkte die Prätorianergarde rund um den Palast und stellte einen Mann namens Sejanus ein, der die Angelegenheiten für ihn in die Hand nehmen sollte. Doch er ließ keine Legion nach Rom, und man hörte von ihm ein paar verdammt gute Worte über persönliche Rechte und Freiheit, das heißt, man hörte sie, wenn man bei seinen Reden lange genug wach bleiben konnte. Ich hielt ihn für einen Grübler.
    Der Senat wurde jedes Mal ganz wild vor Ungeduld, wenn Tiberius sich wieder weigerte, eine Entscheidung zu treffen. Sie wollten schließlich nicht entscheiden! Doch schien das alles noch Sicherheit zu garantieren.
    Dann aber kam es zu einem schrecklichen Vorfall, der dazu führte, dass ich den Kaiser von ganzem Herzen verachtete und meinen Glauben an ihn und seine Fähigkeit zum Regieren verlor.
    In diese Geschichte war der Tempel der Isis verwickelt.
    Ein gerissener, übler Bursche, der sich als der ägyptische Gott Anubis ausgab, hatte eine hoch geborene Ve-rehrerin der Isis verleitet, in den Tempel zu kommen und mit ihm ins Bett zu gehen, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, wie, um alles in der Welt, ihm diese Täuschung gelang.
    Die Frau ist mir bis heute als das dümmste Wesen in ganz Rom in Erinnerung geblieben. Aber vielleicht steckte auch mehr dahinter.
    Auf jeden Fall fand das Ganze im Tempel statt.
    Und anschließend trat dieser Mann, dieser angebliche Anubis, vor die tugendhafte Dame hin und sagte ihr ohne Umschweife ins Gesicht, dass er sie besessen habe! Sie rannte zeternd zu ihrem Ehemann. Der Skandal war vom Allerfeinsten!
    Ich war schon seit Jahren nicht mehr in diesem Tempel gewesen, und ich war froh darüber.
    Doch was der Kaiser daraufhin tat, war entsetzlicher, als ich mir je hätte träumen lassen.
    Er ließ die gesamte Tempelanlage dem Erdboden gleichmachen. Alle Gläubigen wurden aus Rom

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