Anne Rice - Pandora
reich. Er ist reich. Ich weiß zwar, dass seine Mutter eine wilde keltische Prinzessin war, aber sein Vater hat ihn schließlich adoptiert.«
Mein Vater warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Wo hast du das alles her?« Er blieb plötzlich stehen, immer ein schlechtes Zeichen. Die Menge teilte sich und ström-te rechts und links an uns vorbei.
»Ich weiß auch nicht; es ist allgemein bekannt.« Ich drehte mich um. Da schlenderte Marius hinter uns, schaute mich an. »Vater«, sagte ich, »bitte, lass mich mit ihm sprechen.«
Mein Vater kniete nieder. Die meisten Leute waren schon fort. »Lydia, ich weiß, das ist schrecklich für dich.
Ich habe mich jedem Einwand gebeugt, den du gegen deine Bewerber vorgebracht hast. Aber glaube mir, der Kaiser selbst würde nicht gutheißen, dass du einen solch verrückten, herumstreunenden Geschichtsschreiber wie Marius heiratest! Er hat nie dem Vaterland als Soldat gedient, er kann nicht einmal Senator werden, das ist ganz unmöglich. Wenn du heiratest, wirst du eine gute Partie machen.«
Als wir fortgingen, drehte ich mich noch einmal um, ich wollte nur sehen, ob ich Marius noch in der Menge ausmachen konnte, doch zu meinem Erstaunen stand er stocksteif da und sah mich an. Mit seinem herabwallen-den Haar ähnelte er sehr stark dem Vampir Lestat. Er ist größer als Lestat, doch er hat den gleichen geschmeidi-gen, kraftvollen Körperbau, die gleichen intensiv blauen Augen und ein ebenmäßiges Gesicht, das fast schon hübsch ist.
Ich riss mich von meinem Vater los und rannte zu ihm hinüber.
»Also, ich wollte dich heiraten, aber mein Vater hat Nein gesagt«, stieß ich hervor.
Seinen Gesichtsausdruck werde ich niemals vergessen. Doch noch ehe er etwas sagen konnte, hatte mein Vater mich eingeholt und eine salonfähige Konversation begonnen, die alles auslöschte.
»Nun, Marius, wie kommt denn dein Bruder bei der Armee zurecht? Und wie läuft’s mit deiner Geschichtsschreibung? Ich hörte, du hast schon dreizehn Bände geschrieben.«
Mein Vater trat zurück und zog mich praktisch mit sich fort. Marius rührte sich nicht und gab auch keine Antwort.
Bald schon eilten wir mit anderen den Hügel hinauf.
Dieser Augenblick hat unseren gesamten Lebensweg verändert. Aber ich wusste nicht, wie Marius oder ich das hätten ahnen können.
Zwanzig Jahre sollten vergehen, bis wir beide wieder zusammentrafen.
Da war ich inzwischen fünfunddreißig. Ich kann nur sagen, dass wir uns in mehr als einer Hinsicht in einem Reich der Finsternis wieder sahen.
So werde ich jetzt also die Lücke dazwischen füllen.
Ich war zwei Mal verheiratet, beide Male auf Druck des Kaiserhauses. Augustus war nämlich von dem Wunsch beseelt, dass wir alle Nachkommen haben sollten. Ich hatte keine. Meine Ehemänner säten reichlich, jedoch bei den Sklavinnen. So wurde ich also von beiden legal geschieden und war wieder frei, und danach beschloss ich, mich vom gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen, damit nicht Tiberius, der im Alter von fünfzig Jahren den kaiserlichen Thron bestieg, sich noch in meine Angelegenheiten einmischte, denn noch mehr als Augustus war er in öffentlichen Angelegenheiten ein Puritaner und in Familiendingen ein Diktator.
Wenn ich in meinen vier Wänden blieb, wenn ich weder zu Banketten noch Bällen ging und mich nicht mit der Kaiserin Livia, Augustus’ Gattin und Mutter des Tiberius, herumtrieb, konnte ich vielleicht vermeiden, in den Stand einer Stiefmutter gedrängt zu werden. Ich blieb einfach zu Hause. Ich musste mich um meinen Vater kümmern.
Er verdiente es. Wenn er auch immer noch bei bester Gesundheit war, so war er doch alt!
Bei allem gebührenden Respekt vor den Ehemännern, die ich erwähnt habe und deren Namen mehr als nur Fußnoten in der römischen Geschichte sind, war ich doch eine miserable Ehefrau.
Ich hatte reichlich eigenes Vermögen von meinem Vater, ich hörte auf nichts und niemanden und gab mich dem Liebesakt nur hin, wenn es mir passte, womit ich auch durchkam, denn ich besaß genügend Schönheit, um Männer wirklich leiden zu lassen.
Um diese Ehegatten zu ärgern und ihnen aus dem Weg zu gehen, schloss ich mich dem Isis-Kult an. Ich trieb mich im Tempelbereich herum, wo ich sehr viel Zeit in der Gesellschaft interessanter Frauen verbrachte; einige von ihnen waren wesentlich abenteuerlustiger und un-konventioneller, als ich es zu sein wagte. Huren zogen mich magisch an. Für mich hatten diese brillanten, locke-ren Frauen Grenzen überwunden,
Weitere Kostenlose Bücher