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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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all denen, die darum bitten.

    Ich glaubte an diese Worte, jedoch in einem sehr weltlichen Sinn. Ich glaubte daran, weil sich für mich in der Verehrung der Isis die edelsten Ideen sammelten, deren Männer und Frauen fähig waren. Das gab einer Göttin die Existenzberechtigung; das war der Geist, aus dem sie ihre Lebenskraft bezog.
    Der verlorene Phallus des Osiris lebte im Nil. Und der Nil befruchtete die Felder. Oh, es war wunderbar.
    Das Kunststück bestand darin, ihr Bild nicht von mir zu weisen, wie Lukrez vielleicht vorgeschlagen hätte, sondern zu erkennen, was es bedeutete. Und das Beste daraus in meine Seele aufzunehmen.
    Und als ich nun auf die herrlichen weißen Blumen niedersah, dachte ich: »Durch deine Weisheit, Mutter, blü-
    hen sie.« Und damit meinte ich einfach, dass es so vieles auf der Welt gab, das man hegen, respektieren, bewahren musste, dass die Freude darüber selbst eine Pracht war – und sie, Isis, verkörperte diese Erkenntnisse, die zu tief gründeten, um Ideen genannt zu werden.
    Ich liebte es – dieses Abbild des Guten, das Isis war.
    Je länger ich ihr steinernes Antlitz betrachtete, desto mehr gewann ich den Eindruck, dass sie mich sehen konnte. Ein alter Trick. Je länger ich dort kniete, desto mehr schien es mir, als ob sie zu mir spräche. Ich wehrte mich nicht dagegen, in dem vollen Bewusstsein, dass es keine Bedeutung hatte. Die Träume waren weit fort. Sie kamen mir vor wie ein Rätsel, für das sich eine schwach-sinnige Lösung finden würde.
    Mit echter Inbrunst rutschte ich näher zu ihr hin und küsste ihre Füße.
    Damit war mein Gottesdienst beendet.
    Ich ging hinaus, erfrischt und hochgestimmt.
    Ich würde diese Träume nicht mehr haben. Draußen herrschte immer noch Tageslicht. Ich war glücklich.
    Im Hof des Tempels fand ich viele Freunde, und nachdem ich mich mit ihnen unter die Olivenbäume gesetzt hatte, verschaffte ich mir von ihnen alle Informationen, die ich für das tägliche Leben hier brauchte, zum Beispiel wo man Zulieferer fand oder einen guten Haarkünstler und Ähnliches mehr. Wo man dieses oder jenes am besten kaufen konnte.
    Mit anderen Worten, ich wurde von meinen neuen reichen Freunden dafür gerüstet, ein großes Haus zu führen, ohne es mit unerwünschten Sklaven voll stopfen zu müssen. Ich konnte es bei Flavius und den beiden Mädchen belassen. Ausgezeichnet. Alles andere konnte man mieten oder kaufen.
    Schließlich lehnte ich mich zurück – sehr müde, den Kopf voller Namen und Orte, die ich mir merken musste, aufgeheitert durch die Scherze und Geschichten der Frauen und entzückt, dass sie das geliebte Griechisch so flüssig sprachen – und dachte: Jetzt kann ich nach Hause gehen.
    Ich kann einen neuen Anfang machen.
    Der Tempel war immer noch von Leben erfüllt. Ich sah zu den Portalen hinüber. Wo war der Priester? Nun, dann würde ich eben morgen zurückkommen. Ich wollte diese Träume im Augenblick nicht wieder aufleben lassen, so viel war sicher. Viele Leute kamen mit Blumen und Brot und kleinen Vögeln, die sie hier zu Ehren der Göttin frei-lassen wollten, Vögel, die ihre Flügel ausbreiten und durch das hohe Fenster des Allerheiligsten davonfliegen würden.
    Wie warm es hier war! Und was für eine Blumenpracht die Mauer bedeckte! Ich hatte immer geglaubt, dass es nirgends schöner sein könnte als in der Toskana, aber vielleicht war es hier ja auch schön.
    Ich verließ den Hof und begab mich über einige Stufen zum Forum.
    Unter den Arkaden stand ein Mann, der einer Gruppe von Jünglingen das Ideal erklärte, das Diogenes vertre-ten hatte, nämlich, dass wir auf alles Fleischliche und seine Freuden verziehten sollten, um ein reines Leben, in Abkehr von den Sinnen, zu führen.
    Das klang sehr nach dem, was Flavius zuvor beschrieben hatte. Aber dieser Mann hier meinte, was er sagte, und war sehr beschlagen. Er sprach von einer befreien-den Resignation. Damit weckte er meine Fantasie. Denn das, glaubte ich, war mir dort in dem Tempel widerfahren, eine befreiende Resignation.
    Die Jünglinge, die ihm lauschten, waren noch zu jung, um das zu begreifen. Doch ich hatte es begriffen. Mir gefiel der Mann. Er hatte schon graue Haare und trug eine schlichte, lange Tunika. Er ging also nicht demonstrativ in Lumpen.
    Ich unterbrach seinen Vortrag. Mit entschuldigendem Lächeln brachte ich vor, dass Epikur der Meinung war, uns wären die Sinne nicht gegeben worden, wenn sie zu nichts gut wären. Stimmte das nicht? »Müssen wir uns selbst

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