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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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verleugnen? Schaut nur hinüber zum Hof des Isis-Tempels, seht Ihr die Blüten, die dort über die Mauer hängen? Ist das nicht etwas, was man genießen sollte?
    Seht nur das fantastische Rot der Blumen! Diese Blumen an sich genügen schon, um einen von seinen Sorgen abzulenken. Wer will behaupten, dass Augen weiser sind als Hände oder Lippen?«
    Die Jünglinge drehten sich zu mir um. Mit einigen von ihnen begann ich zu diskutieren. Wie frisch und hübsch sie anzusehen waren. Unter ihnen gab es langhaarige Babylonier und sogar hochgeborene Hebräer, alle mit starkem Haarwuchs auf Brust und Armen, und es gab auch viele Römer, die hier in der Kolonie lebten und die ganz verblüfft waren über meine Ausführungen, dass in der Fleischeslust und im Wein die Wahrheit des Lebens zu finden sei.
    »Die Blumen und der Wein, die Sterne am Himmel, die Küsse des Geliebten, dies alles ist zweifellos Teil der Natur«, sagte ich zu ihnen. Natürlich war ich im Moment Feuer und Flamme, denn ich war gerade aus dem Tempel gekommen, wo ich mich von meinen Ängsten befreit und all meine Zweifel zerstreut hatte. Im Augenblick fühl-te ich mich unbesiegbar. Die Welt war neu geschaffen für mich.
    Der Lehrer – sein Name war Marcellus – trat unter dem Bogengang hervor, um mich zu begrüßen.
    »Ach, edle Dame, Ihr erstaunt mich«, sagte er. »Aber von wem habt Ihr das, was Ihr glaubt, wirklich gelernt?
    Von Lukrez? Oder aus der Erfahrung? Ihr seht doch sicher ein, dass man die Menschen nicht immer ermutigen darf, sich in den Sinnen zu verlieren!«
    »Habe ich von verlieren gesprochen?«, fragte ich zu-rück. »Sich hingeben heißt nicht, sich zu verlieren. Es heißt, zu ehren. Ich spreche davon, besonnen zu leben; ich empfehle, auf die Weisheit unseres Körpers zu lauschen. Ich spreche von der elementaren Intelligenz der Freundlichkeit und des Genusses. Und wenn Ihr es denn wissen wollt, Lukrez lehrte mich bei weitem nicht so viel, wie man annehmen könnte. Ich fand ihn eigentlich immer zu trocken. Die ganze Herrlichkeit des Lebens zu erfassen, lernte ich von Dichtern wie Ovid.«
    Die Schar der Jünglinge klatschte Beifall. »Ich lernte von Ovid!«, rief einer nach dem anderen.
    »Nun, das ist schön, aber ihr dürft eure Manieren ebenso wenig vergessen wie eure Lektionen«, sagte ich streng.
    Erneuter Beifall. Dann begannen die jungen Männer, mit Versen aus Ovids Metamorphosen um sich zu werfen.
    »Das ist großartig«, sagte ich und fügte hinzu: »Wie viele seid ihr? Fünfzehn. Warum besucht ihr mich nicht in meinem Haus und speist mit mir zu Abend? In fünf Tagen, ihr alle. Die Zeit brauche ich für die Vorbereitungen.
    Ich besitze viele Bücher, die ich euch zeigen möchte. Ich verspreche euch, dass ich euch auch zeigen werde, was ein schönes Fest für die Seele bewirken kann.«
    Meine Einladung wurde mit viel Vergnügen und Gelächter angenommen. Ich beschrieb ihnen die Lage meines Hauses.
    »Ich bin Witwe. Mein Name ist Pandora. Ich lade euch in aller Züchtigkeit ein, das Festmahl wird für euch bereit sein. Erwartet jedoch keine Tanzmädchen oder -jungen, die werdet ihr unter meinem Dach nicht finden. Macht euch aber auf köstliche Speisen gefasst. Und auf Dichtung. Wer von euch kann die Verse Homers vorsingen?
    Wirklich singen? Wer von euch singt sie jetzt hier aus dem Gedächtnis, nur zum Vergnügen?«
    Lachen, unbeschwerte Heiterkeit. Triumph. Mir schien, sie alle konnten das und begrüßten die Gelegenheit, es zu zeigen. Jemand deutete an, dass eine andere Römerin hier in Antiochia rasend eifersüchtig sein würde, wenn sie entdeckte, dass sie Konkurrenz bekommen hatte.
    »Unsinn!«, sagte ein anderer. »An ihrer Tafel herrscht sowieso Gedränge. Herrin, darf ich Eure Hand küssen?«
    »Ihr müsst mir sagen, wer sie ist«, bat ich. »Ich werde ihr meine Reverenz erweisen. Ich möchte sie kennen lernen, und vielleicht kann ich ja etwas von ihr lernen.«
    Der Lehrer lächelte. Ich steckte ihm ein paar Münzen zu.
    Es wurde allmählich dunkel. Ich seufzte. Da – die ersten auftauchenden Sterne der Abenddämmerung, die der Nachtschwärze vorausgeht.
    Ich nahm die unschuldigen Küsse dieser Jünglinge entgegen und bekräftigte noch einmal, dass das Festmahl stattfinden werde.

    Doch etwas hatte sich verändert. Mit der Schnelligkeit eines Lidschlags. Schwarz geschminkte Lider? Nur das nicht!
    Vielleicht lag es ja nur an der hässlichen Blässe des Zwielichts. Ein Schauer überlief mich. Ich bin es, die dich ruft. Wer hatte

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