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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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maskenhaftes Gesicht war ein Bekenntnis ihres Glaubens.
    »Du musst sein wie Mutter Isis. Verlasse dich auf niemanden. Auf dir ruht nicht die Last, einen verlorenen Gemahl oder Vater ersetzen zu müssen. Du bist frei.
    Empfange Männer in deinem Haus zum Liebesspiel, wenn es dir gefällt. Du gehörst niemandem als Mutter Isis. Denk daran, Isis ist die Göttin, die uns liebt, die Göttin, die vergibt, die Göttin mit dem unendlichen Verständnis, da sie selbst gelitten hat!«
    »Gelitten!« Ich keuchte. Ich stöhnte – etwas sehr Ungewöhnliches, Seltenes in meinem Leben. Aber ich sah die weinende Königin aus meinen Albträumen, wie sie an ihren Thron gefesselt war.
    »Hör mich an«, bat ich. »Ich will dir nun von meinen Träumen erzählen, und dann sage mir, warum sie auftreten.« Ich wusste, dass meine Stimme zornig klang, und es tat mir Leid. »Diese Träume entstehen nicht durch zu viel Wein oder durch gewisse andere Getränke oder nach langen Perioden der Schlaflosigkeit, die den Geist verbiegen.«
    Dann stürzte ich mich in ein weiteres völlig unvorhergesehenes Geständnis.
    Ich erzählte dieser Frau von den Blutträumen, diesen Träumen von einem längst vergangenen Ägypten – mit dem Altar, dem Tempel, der Wüste und der aufgehenden Sonne.
    »Amon Ra!«, sagte ich. Das war der ägyptische Name für den Sonnengott, der meines Wissens noch nie über meine Lippen gekommen war. Nun sprach ich ihn aus.
    »Ja, Isis verleitete ihn, seinen Namen preiszugeben, er aber tötete mich, und ich wurde ihr Bluttrinker, hörst du, ein durstiger Gott.«
    »Nein!«, sagte die Priesterin. Sie saß unbeweglich da.
    Lange Zeit dachte sie nach. Ich hatte sie erschreckt, und das erschreckte mich meinerseits umso heftiger.
    »Kannst du die alte Bilderschrift lesen?«, fragte sie.
    »Nein«, antwortete ich.
    Dann sagte sie entspannter und offener:
    »Das sind sehr alte Sagen, die du da ansprichst, Sagen, die tief versunken sind in der Geschichte unseres Isis- und Osiris-Kults. Sie besagen, dass die beiden einstmals tatsächlich Blut als Weihgabe von ihren Opfern nahmen. Es gibt Schriften, in denen das steht. Doch niemand kann sie entziffern, außer einem …«
    Ihre Stimme verlor sich.
    »Und wer ist dieser eine?«, fragte ich. Ich erhob mich und stützte mich auf die Ellenbogen, dabei bemerkte ich, dass meine Haare sich wieder gelöst hatten. Gut. Ich mochte es, es fühlte sich jetzt so frei und rein an. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare.
    Was musste das für ein Gefühl sein, wie diese Priesterin unter der Schminke und Perücke lebendig begraben zu sein?
    »Sag mir«, bat ich, »wer ist das, der diese alten Sagen lesen kann. Sag es mir!«
    »Das sind böse Geschichten«, antwortete sie, »dass Isis und Osiris immer noch irgendwo körperlich vorhanden sind, dass sie selbst heute noch Blut trinken.« Sie machte eine abwehrende Geste des Ekels. »Aber das ist nicht unser Kult. Wir opfern keine Menschen hier. Ägypten war schon alt und weise, bevor Rom entstand.«
    Wen versuchte sie da zu überzeugen? Mich?
    »Ich habe nie solche Träume gehabt, in dieser Aufein-anderfolge, mit diesem Inhalt.«
    Im Laufe ihrer Rede wurde sie immer aufgeregter.
    »Unsrer Mutter Isis steht der Sinn nicht nach Blut. Sie hat den Tod besiegt und ihren Gatten Osiris als Herrscher über die Toten eingesetzt, doch für uns auf der Er-de ist sie der Inbegriff des Lebens. Sie hat dir diese Träume nicht gesandt.«
    »Wahrscheinlich nicht! Da stimme ich dir zu. Aber wer war es dann? Woher kommen sie? Warum verfolgten sie mich auf dem Meer? Wer ist die Person, die die alten Schriften lesen kann?« Sie war erschüttert. Sie hatte mich losgelassen und starrte ins Leere, dabei nahmen ihre Augen auf Grund der schwarzen Umrandung eine trügerische Wildheit an.
    »Vielleicht hat in deiner Kindheit ein alter ägyptischer Priester dir eine unserer Sagen erzählt. Du hast sie längst vergessen, und jetzt flammt sie in deinem gequälten Geist wieder auf. Sie nährt sich von einem Feuer, an dem sie kein Recht hat – am Tod deines Vaters.«
    »Ja, gut, ich hoffe sehr, dass es so ist, aber ich kannte in Rom keinen Ägypter. Alle Priester in unserem Tempel waren Römer. Außerdem, welches Muster liegt den Träumen zu Grunde, wenn wir sie uns genauer ansehen und auslegen? Warum weint die Königin? Warum tötet die Sonne mich? Die Königin liegt in Fesseln. Sie ist eine Gefangene. Die Königin leidet Todesqualen!«
    »Hör auf!« Die Priesterin schauderte.

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