Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Gesicht«, sagte Anne. »Sie haben meinen Pitch angenommen.«
Annika kramte fieberhaft in ihrem Gedächtnis, hatte Anne davon etwas erwähnt? Ihre Freundin breitete die Arme aus.
»Du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb. Media Time! Du hast versprochen, mir zu helfen. Sag jetzt nicht, du hast das vergessen.«
»Natürlich nicht«, sagte Annika und löffelte Pulverkaffee in die Becher. Anne griff nach ihrer Handtasche, einem grellbunten Ding mit Goldnieten und einem sehr teuren Logo, angelte einen Spiegel und Lipgloss hervor und frischte ihre Lippen auf. Annika goss Wasser in die Becher und stellte sie auf den Tisch.
»Die Chefs von Media Time waren Feuer und Flamme. Sie wollen, dass ich sofort anfange. Ist das okay für dich?«
Annika lächelte sie an und holte Milch aus dem Kühlschrank, Anne machte eine GI -Diät und nahm weder Zucker noch Gebäck zu sich.
»Das hört sich doch toll an. Was ist das für eine Firma?«
»Ein modernes Medienunternehmen, sie haben einen digitalen Fernsehkanal, der im Internet sendet, einen digitalen Radiokanal mit Musik und Nachrichten und eine Nachrichtenagentur im Web.«
Annika hielt jäh inne, die Milch in der Hand.
»Mediatime.se?«
»Die haben wirklich frischen Wind in die Berichterstattung gebracht! Sie trauen sich, Sachen zu veröffentlichen, die sonst niemand anpacken will.«
»Haben die Angaben veröffentlicht, nach denen der Finanzminister seine Luxuswohnung von Schwarzarbeitern renovieren ließ?«
Anne breitete wieder die Arme aus.
»Ich hab’s ja schon immer gesagt, diese Sozi-Regierung macht doch nichts als Mauscheln und Mogeln.«
Annika setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl am Küchentisch. Auf einmal hatte sie das Gefühl, einen Elefanten in der Küche zu haben, etwas Großes, Graues, das ihr allen Sauerstoff raubte.
»Anne«, sagte sie, »was ist das für ein Pitch, den du verkauft hast?«
»Die Interviewserie«, sagte Anne. »Eine seriöse Sendung mit interessanten Leuten. ›Anne deckt auf‹ soll die Sendung heißen, ist das nicht toll? Ich mache Interviews und decke auf. Du bist mein erster Gast.«
Annika legte die Hände um den Becher und spürte, wie das kochend heiße Porzellan an den Handflächen brannte.
»Was meinst du damit?«, fragte sie, obwohl sie es längst ahnte.
»Du erzählst von der Entführung«, sagte Anne. »Wir haben jede Menge Zeit, fünfundzwanzig Minuten. Du erzählst nur so viel, wie für dich vertretbar ist, ich dränge dich zu nichts.«
Sie lehnte sich über den Tisch und nahm Annikas Hände.
»Wir machen es so, wie du willst«, sagte sie. »Ich richte mich ganz nach dir. Wir müssen es nicht in einem anonymen Fernsehstudio aufzeichnen, wir könnten es hier tun, bei dir zu Hause. Hier am Küchentisch oder im Kinderzimmer …«
Annika zog ihre Hände zurück. Der Elefant nahm allen freien Raum ein, Schränke und Schubladen, Kühlschrank und Gefrierschrank und Mikrowelle, er drohte sie an der Wand zu zerquetschen und die Fenster zur Bergsgatan zu zertrümmern.
»Anne«, sagte sie, »das kann nicht dein Ernst sein.«
Der Elefant hörte auf zu atmen. Die Stille war zum Schneiden.
»Das ist doch auch für dich supergut«, sagte Anne Snapphane leichthin, aber die Leichtigkeit klang erkämpft und unecht. »Bessere Voraussetzungen kriegst du nirgends, du siehst das Endergebnis und gibst deine Zustimmung, ich kann heikle Fragen herausschneiden oder Antworten, die du bereust …«
Annika fasste sich an die Stirn.
»Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast.«
Anne Snapphane riss die Augen auf.
»Interviewt zu werden ist schließlich keine Strafe, oder? Das ist doch eine Anerkennung. Wie viele Länder und Kulturen gibt es, in denen man nicht sagen kann, was man denkt. Du solltest lieber dankbar sein, dass die Leute Anteil nehmen. Stell dir vor, alle würden auf dich und Thomas und euer Problem pfeifen!«
Euer Problem? Euer Problem?!
Auf einmal stand Annika wieder mit ihren rußverdreckten Kindern an der Hand in Anne Snapphanes Treppenhaus in Östermalm und bat, hereinkommen zu dürfen, weil ihr Haus abgebrannt war und sie kein Geld hatte und nicht wusste, wohin, sie hatte ihre Kinder aus den Flammen abgeseilt und war selbst aus dem Obergeschoss gesprungen, und das Taxi stand unten und wartete, und Anne sagte nein, Anne hatte einen Typen kennengelernt, Anne konnte nicht verstehen, wie Annika so rücksichtslos sein konnte und ausgerechnet in dieser pikanten Situation erwartete, hereingelassen zu werden, wollte
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