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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Übersetzungsprogrammen abmühte, und als die Reuters-Meldung reinkam, Urgent – Hostage Free in Kismayo , ließ er das Übersetzungsprogramm sein und klickte sie auf.
    Alvaro Ribeiro, 33, war am Montagnachmittag halb verdurstet und völlig erschöpft vor der Universität der somalischen ­Hafenstadt Kismayo aufgefunden worden. Er hatte zwei gebrochene Rippen und zeigte Anzeichen von Unterernährung, war aber ansonsten in verhältnismäßig guter Verfassung. Er hatte sich von einem Studenten ein Handy geborgt und gleich seine Familie und einen Reporter von El País angerufen. Die Reuters-Meldung schien eine direkte Übersetzung des spanischen Zeitungsartikels zu sein (wie gut, dass andere Leute ihre Spanisch­lektionen gelernt hatten). Nach einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse (Delegation der Frontex-Konferenz in Nairobi durch Straßensperre an der somalischen Grenze gestoppt) wurde der Bericht des Spaniers in ganzer Länge wiedergegeben. Er beschrieb, wie sie überfallen und entführt worden waren, wie man sie willkürlich durch die Gegend gefahren und sie gezwungen hatte, durch die Nacht zu marschieren, wie sie in einer verdreckten Wellblechhütte gefangen gehalten worden waren und man ihnen Essen, Wasser und die Benutzung eines Abtritts verweigert hatte. Schyman wand sich unbehaglich, Exkremente und dergleichen waren ihm ein Graus.
    Die Gefangenschaft in der Hütte wurde als unerträglich beschrieben, die Geiseln litten unter Hitze und Hunger, und sie mussten mit ansehen, wie der französische Delegationsteilnehmer getötet und zerstückelt wurde.
    Wie grotesk, dachte Schyman, als er den Bericht vom Grauen in der Hütte überflog. Der Spanier war in eine andere Hütte gebracht worden und hatte danach nie wieder etwas von dem Dänen oder von der Deutschen Helga Wolff gesehen. Die übrigen Geiseln allerdings sah er am Sonntagmorgen, dem 27. November wieder, als sie auf den offenen Platz inmitten der Hütten geführt wurden. Catherine Wilson, die Engländerin, lag nackt auf der Erde vor einer der Lehmhütten. Man hatte ihr lange Nägel durch Hände und Füße geschlagen und sie buchstäblich gekreuzigt. Als Erstes wurde sie von drei Bewachern vergewaltigt, nicht jedoch vom Anführer, dem Großen General. Anschließend wur­den die männlichen Geiseln einer nach dem anderen zu ihr geführt und gezwungen, sich an ihr zu vergehen. Als die Männer sich weigerten, drohte man, ihnen die Hände abzuhacken. Alle männlichen Geiseln entschieden sich daraufhin, die Engländerin zu vergewaltigen; ihm selbst war es allerdings nicht gelungen, da er mit einem Mann zusammenlebte und noch nie einen Hang zu Frauen oder sadistischen Praktiken gehabt hatte, aber aus Angst um sein Leben tat er so, als würde er sie schänden. Danach brachte der Große General die Frau um. Er vergewaltigte sie mit seiner Machete.
    Der Spanier beschrieb dann seine Freilassung, wie man ihn in einem großen Auto durch die Gegend gefahren und schließlich hinausgeworfen hatte. Schyman wandte den Blick vom Bildschirm ab und sah hinüber zum Newsdesk. Was man der britischen Delegationsteilnehmerin angetan hatte, erschien ihm in seiner Grausamkeit unwirklich. Konnte er solche Details veröffent­lichen? Das machte den armen schwedischen Familienvater Thomas zu einem Vergewaltiger. Andererseits waren die Details schon bekannt, von Reuters über die ganze Welt verbreitet worden. Und jemanden zu einer Vergewaltigung zu zwingen, war das nicht auch eine Art Vergewaltigung?
    Er zupfte sich am Bart. Aus dem Bericht ging nicht hervor, ob ein Lösegeld gezahlt worden war, doch das war anzunehmen. Die Ermordung der Engländerin war absolut bestialisch, aber stand es ihm zu, Todesursachen zu bewerten? Wäre es »besser« gewesen, wenn sie an einem Wespenstich oder einem Herzinfarkt gestorben wäre?
    Seine Schuld war es nicht, dass die Welt so schlecht war, und auch nicht sein Problem. Im Gegenteil, er hatte die Pflicht zu berichten, wie die Realität aussah, wie die Welt tatsächlich beschaffen war. Er studierte die Meldung noch einmal. Sie war eigen­artig geschmack- und geruchlos, mechanisch, beinahe steril. In dieser Form konnte man sie im Abendblatt nicht bringen. Sie würden sie ein wenig aufpeppen und ein bisschen mehr Dramatik in die Handlung bringen müssen.
    Er hörte Patrik draußen am Newsdesk aufschreien und wusste, dass jetzt auch der Nachrichtenchef den Text gelesen hatte.
    Er biss die Zähne zusammen.
    Titelseite und Aufmacher für morgen waren

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