Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
sie Anne etwa jede Chance auf eine Zukunft verderben?
»Du bist wirklich eiskalt«, sagte Annika. »Du hast mich verschachert, um Fernseh-Promi zu werden.«
Anne Snapphane zuckte zurück, als hätte sie eine Ohrfeige erhalten. Ihre Augen wurden dunkel, und ihre Hand an der Kaffeetasse zitterte.
»Lässt du mich jetzt im Stich?«, flüsterte sie. »Jetzt, wo ich endlich eine Chance bekommen habe?«
»Ich nehme dir wirklich alles weg«, sagte Annika immer verwunderter. »Deinen Mann und deinen Erfolg und deine Tochter vielleicht auch noch? Dass Miranda bei Mehmet wohnt, ist das auch meine Schuld?«
Anne Snapphane stockte vor Verblüffung der Atem.
»Dein Egoismus ist wirklich grenzenlos«, sagte sie. »Aber diesmal kommst du mir nicht davon. Du hast versprochen, dass du für mich da bist, du hast versprochen, dass du mir hilfst. Ich ziehe das durch, mit dir oder ohne dich.«
Annika schob den Kaffeebecher weg.
»Du kannst natürlich tun und lassen, was du willst«, sagte sie. »Ich bin absolut für Demokratie und Meinungsfreiheit.«
Anne Snapphane stand auf, der Kaffee schwappte über, und der Stuhl schrammte über die Holzdielen. Sie rannte in den Flur und zog mit zitternden Händen die Jacke an. Die ganze Zeit ließ sie Annika nicht aus dem Blick.
»Ich habe dich so unterstützt«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Immer habe ich dir zugehört und dir geholfen und dich getröstet. Wenn ich nicht alles darangesetzt hätte, um dir zu helfen, wäre ich jetzt viel weiter, ganz woanders wäre ich dann, aber ich habe meine Interessen zurückgestellt, um dir zu helfen, und das ist jetzt der Dank?«
Annika schluckte.
»Das hast du schon mal gesagt, wahrscheinlich glaubst du es selbst. Das hat beinahe schon was Trauriges.«
»Das wird dir noch leidtun«, sagte Anne Snapphane und rauschte aus der Wohnung.
Annika saß am Küchentisch und hörte, wie der Fahrstuhl nach unten fuhr. Dumpfes Unbehagen rumorte in ihrem Bauch, wurde stärker und größer. Ihre Hände und Füße wurden taub. Konnte Anne das ernst gemeint haben? Würde sie ihr wirklich bewusst schaden?
Sie schloss die Augen, zwang sich, ganz rational zu denken.
Anne besaß keine Macht. Niemand interessierte sich für sie. Sie klammerte sich am Rand der Mediengesellschaft fest, ohne jemals irgendeinen Einfluss zu gewinnen. Sie war keine Gefahr.
Annika atmete aus und ließ die Schultern sinken, schüttelte die tauben Hände.
Wieder setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Hatte Anne etwas vergessen? Wollte sie sich entschuldigen?
Es waren Kalle und Ellen, die aus dem Hort kamen.
»Mama, ich hab das Seepferdchen gemacht! Können wir das Abzeichen kaufen, bitte?«
Sie schloss die beiden in die Arme und drückte sie fest.
»Wie war der Tag?«
»Gut«, sagten die Kinder mechanisch.
»Hat jemand nach Papa gefragt?«
Ellen schüttelte den Kopf.
»Können wir das Seepferdchen-Abzeichen kaufen? Das gibt’s im Internet.«
»Nur dieser Mann«, sagte Kalle, zog sich die Mütze vom Kopf und warf sie auf den Fußboden.
Das Unbehagen meldete sich wieder.
»Was für ein Mann?«
»Von der Zeitung. Er hatte eine riesengroße Kamera.«
Halenius tauchte in der Wohnzimmertür auf, und Kalles Kinn spannte sich.
»Na, ihr zwei?«, sagte er zu den Kindern und blickte dann Annika an. »Kannst du mal kommen?«
Sie konnte sich nicht rühren.
»Sag es«, sagte sie. »Sag es, sofort.«
Halenius warf einen Blick zu den Kindern.
»Der Spanier«, sagte er. »Er ist frei.«
*
Schyman klickte verbissen zwischen den Übersetzungsprogrammen hin und her. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er, dass er seine Frau nicht zu ihren ewigen Spanischkursen begleitet hatte. Im Laufe der Jahre hatte sie AB F und Instituto Cervantes und Enforex besucht, aber er hatte immer Arbeit vorgeschützt, keine Zeit, keine Zeit. Und nun saß er hier und versuchte, El País mit Hilfe von Babelfish zu lesen, und das funktionierte nicht besonders gut. Also testete er auch noch Google translate, das ging etwas besser, Mann der Spanier ist zu entdecken in der Stadt Kismayo an diesem Nachmittag war ja immerhin das richtige Jahrhundert.
Offenbar gingen die Geiseln dort unten durch die Hölle. Der Franzose war zerstückelt worden, und nun hatte man auch noch die Engländerin tot aufgefunden. Dass sie den Spanier freigelassen hatten, war die erste positive Nachricht in all dem Elend.
Mit einem Auge verfolgte er die Meldungen der Nachrichtenagenturen, während er sich mit den
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