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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Medienansturms abzuwarten, legte Annika das Handy in den Flur und setzte sich mit ihrem Laptop ins Kinderzimmer. Sie hatte den bestbezahlten Artikel ihres Lebens zu schreiben: So war es, als mein Mann entführt wurde. Irgendwelche Ambitionen, politisch korrekt zu sein, hatte sie nicht. Wahrheitsgetreu, das schon, auch detailliert und genau sollte der Text sein, aber auf eine Weise, die sie selbst bestimmte. Sie beschloss, im Präsens zu schreiben, ein Kniff, der in der Boulevardpresse generell unter Totalverbot stand, aber in diesem Format konnte er funktionieren, und sei es nur, um mit der gängigen Struktur zu brechen. Sie schrieb ohne Hemmungen, ließ die Worte ohne Einschränkungen fließen, denn wer weiß, ob dieser Text je gelesen würde, und wenn, dann von wem. Es gab in dieser Situation keinen Grund für Rücksichtnahmen, sie ließ einfach heraus, was sich seit Donnerstag in ihr aufgestaut hatte, teilte die Abschnitte nach Tagen und Stunden und manchmal sogar Minuten auf.
    Annika schrieb so lange, bis sie merkte, dass sie Hunger bekam. Dann montierte sie die Videokamera auf ein Stativ, richtete sie auf Ellens Bett aus und drückte Record. Sie setzte sich zwischen die Kuscheltiere und machte einen Toncheck, eins-zwei, eins-zwei. Als sie die Aufnahme kontrollierte, sah sie, dass sie zu hoch im Bild saß. Der Fokus lag irgendwo auf ihrem Bauch. Also richtete sie die Kamera ein wenig weiter nach oben, war aber jetzt zu tief im Bild. Nach einigem Hin und Her war sie endlich in der Mitte zu sehen, genau wie der Mann mit dem Turban.
    »Heute ist Samstag, der 26. November«, sagte sie in die schwarze Linse. Die starrte ihr entgegen wie das Auge eines Zyklopen, eines Außerirdischen oder eines Urzeittiers, eiskalt und lauernd. »Mein Name ist Annika Bengtzon. Mein Mann ist entführt worden. Thomas heißt er. Wir haben zwei Kinder. Er ist vor vier Tagen in der Nähe von Liboi im Nordosten Kenias verschwunden …«
    Ohne dass ihr klarwurde, wie es gekommen war, weinte sie plötzlich. Sie verschloss die Augen vor dem blanken Kamera­objektiv und ließ den Tränen freien Lauf.
    »Ich habe gerade erfahren, dass die Geiseln hingerichtet werden sollen, wenn die Forderungen der Entführer nicht erfüllt werden«, flüsterte sie.
    Sie saß eine Weile da und ließ die Kamera laufen, dann wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Die Wimpern­tusche war zerflossen und brannte in den Augen.
    »Öffnung Europas für die Dritte Welt«, fuhr sie in Richtung der Linse fort, »Verzicht auf unsere Privilegien, Bekämpfung der Ungerechtigkeit in der Welt: Das sind völlig unangemessene Forderungen. Jeder weiß das. Die Regierungen Europas werden ihre Bunkerpolitik nicht aufgeben, nur weil ein paar kleine Delegierte vom Tod bedroht sind.«
    Ihre Nase war inzwischen verstopft, sie atmete durch den Mund. »Vielleicht müssen wir jetzt bezahlen«, sagte sie zum Fenster gewandt. »Wir in der alten, freien Welt, wir auf der richtigen Seite der Mauer. Warum sollte für uns alles gratis sein?«
    Sie blickte verwirrt in die Kamera. Das hier entsprach wohl kaum Schymans Erwartungen. Andererseits hatte er ihr keine Vorgaben gemacht oder eine Auftragsbeschreibung mitgegeben. Da sollte sie doch freie Hand haben, um den Job nach eigenem Gutdünken zu gestalten, oder?
    Sie erhob sich vom Bett und schaltete die Kamera aus, was vermutlich das gleiche Wackeln auslöste wie im Film des Turban­mannes.
    An der Flurtür klingelte es.
    Sie sah auf ihre Armbanduhr, kein Wunder, dass ihr Magen knurrte.
    Halenius öffnete die Kinderzimmertür einen Spalt.
    »Erwarten Sie jemanden?«
    Annika strich sich die Haare aus der Stirn.
    »Samstagabends um halb neun? Zu meiner Ü30-Party? Ist ein neuer Film gekommen?«
    »Nein. Ich mache mich mal unsichtbar«, sagte Halenius und verschwand im Schlafzimmer.
    Annika atmete tief durch. Per Ausschlussverfahren kam sie zu der Überzeugung, dass nur der Konkurrent draußen im Trep­penhaus stehen konnte. Man hatte mehrere Stunden Zeit gehabt, einen Artikel über die erste Geiselhinrichtung in Ostafrika zusammenzuschustern, jetzt fehlte ihnen nur noch ein Foto von der verzweifelten Frau des entführten Schweden. Im selben Moment, in dem sie die Wohnungstür öffnete, würde sie geknipst werden. Und wenn sie auch zehn Mal auf den Schutz ihres Privatlebens und die Presse-Ethik hinwiese, in der morgigen Ausgabe würde ein großes Porträtfoto von ihr erscheinen. Falls es der Konkurrent war. Und wenn sie

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