Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
Leslie. »Carl war im Nachbarkäfig untergebracht.«
In diesem Moment kehrt Carl von der Toilette zurück. Niemand sagt einen Ton, während er zu seinem Stuhl geht. Es ist so leise, dass ich hören kann, wie Jerry langsam verwest.
»Was ist?«, sagt Carl, während er dasteht und an sich herabschaut, um sich zu vergewissern, ob sein Hosenschlitz auch zu ist.
»Mann, Alter«, sagt Jerry, »du warst im Tierheim?«
Carl starrt uns an, als hätte man ihn beim Onanieren erwischt.
»Ich habe ihnen erzählt, dass wir uns dort kennengelernt haben«, sagt Leslie.
»Ja, also«, sagt Carl. »Das war eine Verwechslung. Können wir jetzt weitermachen?«
Zack und Luke erheben sich Schulter an Schulter von ihren Sitzen und erzählen, wie sie kopfüber von der Eisenbahnbrücke in den San Lorenzo River gesprungen sind. Es ist ziemlich unheimlich, wie sie die Geschichte vortragen; einer der beiden sagt ein paar Worte, dann nimmt der andere den Faden auf und fährt fort, und immer so hin und her, als hätten sie ein Gehirn und zwei Münder.
Im Anschluss an die Zwillinge gibt Jerry eine amüsante Schilderung seines Autounfalls zum Besten, und als er fertig ist, fordert er alle auf, sein freiliegendes Gehirn zu berühren. Die Zwillinge nehmen sein Angebot gerne an, doch die anderen winken ab.
Ich will gerade aufstehen, um zur Tafel zu schlurfen und meine Geschichte vorzutragen, als Rita ihre Hand auf meinen Arm legt und mich zurück auf den Stuhl drückt.
»Andy hat einen Autounfall überlebt, dabei hat er schwere Verletzungen davongetragen und seine Stimme verloren«, sagt sie und sieht mich lächelnd an. »Aber das heißt nicht, dass er kein guter Zuhörer ist.«
Ich hocke da und schaue zu Rita hinüber, während sie meine Geschichte erzählt; ich hänge an ihren Lippen in Succulent Red, die die Sätze formen, die eigentlich meine sind. Es schmeichelt mir, dass sie für mich das Wort ergreift und allen von meinem Schicksal berichtet. Eigentlich finde ich, dass sie das besser macht als ich.
Als sie mit meiner Geschichte fertig ist, erzählt Rita von ihrem Selbstmord. Davon, wie allein und verzweifelt sie gewesen ist, eine Außenseiterin unter den Lebenden - ohne Freunde und Bekannte, mit dem Gefühl, nirgends dazuzugehören. Und dann eines Tages, während sie in der Küche ihres Einzimmerapartments stand, Pizzareste in sich hineinstopfte und The Smiths hörte, hat sie sich einfach ein Steakmesser geschnappt und sich Pulsadern und Hals aufgeschlitzt. Ganz spontan. Ohne Abschiedsbrief. Sie hat einfach die Klinge angesetzt und durchs Fleisch geschnitten.
So hat sie die Geschichte noch nie erzählt. Ihre Schilderung der Ereignisse ist immer knapp und nüchtern gewesen, die hastige Beschreibung von etwas, dessen sie sich schämte. Doch diesmal nichts davon. Keine Scham. Keine Reue. Stattdessen scheint sie begierig darauf, davon zu berichten.
»Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als sich die Blutlache auf dem Boden um mich herum ausbreitete«, sagt Rita. »Ich konnte spüren, wie meine Kräfte allmählich schwanden, wie das Leben aus meinem Körper wich, und ich wusste, dass ich es geschafft hatte, meinem einsamen Dasein ein Ende zu bereiten. Nur um zwei Tage später in der Leichenhalle wieder zu mir zu kommen und festzustellen, dass ich immer noch nicht tot war.«
Verständnisvolles Kopfnicken, begleitet von Jerrys mitfühlendem »Scheiße, Mann«.
»Und auch wenn ich unter den Lebenden immer noch ein Außenseiter bin«, sagt Rita und lässt ihren Blick über den Halbkreis aus Zombies wandern, bis er auf mir verweilt, »fühle ich mich nicht mehr ganz so einsam.«
Könnte ich rot anlaufen, würde man jetzt sicher meinen, ich hätte einen schlimmen Sonnenbrand.
Nachdem er sich vorgestellt hat, erzählt Ray, wie er von einem schießwütigen Grundstücksbesitzer erschossen wurde und wie er, nachdem seine Frau ihn rausgeworfen hatte, in den Getreidespeicher gezogen ist. Dann steht er auf, öffnet seinen Rucksack und drückt jedem ein Glas mit Rays Genialen Gaumenfreuden in die Hand. Einige Teilnehmer betrachten skeptisch den Inhalt, aber Rita, Jerry und ich verbürgen uns für die Qualität, und das scheint alle zufriedenzustellen.
Naomis Bericht, wie sie von ihrem Ehemann umgebracht wurde, ist kurz und heftig. Anschließend zündet sie sich eine ihrer mit Formaldehyd versetzten Zigaretten an und raucht sie halb auf, bevor sie sie auf Helens Bitte hin ausdrückt, und zwar in ihrer leeren
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